■ Frankreich: Das Faustrecht der Rechten
: Grüne Wahlkämpfer als Freiwild

Eier, Tomaten und Salven von Schimpfwörtern gehören nicht gerade zum feinsten Jägerlatein. Aber mit solchen Attacken sehen sich Frankreichs grüne Wahlkämpfer konfrontiert. Die Jagdszenen konzentrieren sich vor allem auf den (wilden) Südwesten Frankreichs, wo die Doppellauf-Flinte zum Haushalt gehört wie andernorts der Staubsauger. Noel Mamère, Pariser Volksvertreter der „Verts“, wurde zum Beispiel in Arcachon mit verfaultem Gemüse eingedeckt. Die Polizei blieb außer Reichweite, Politiker anderer Parteien schwiegen vielsagend. Außer einem Sprecher der Wahlliste „Jagd, Natur, Fischerei und Tradition“ (CNPT), der sarkastisch meinte: „Ich weiß gar nicht, was Mamère hat. Er ruft 'Feuer‘, bevor er brennt.“

Frankreichs grüne Umweltministerin Dominique Voynet wird verschont – weil sie sich aus dem laufenden Wahlkampf hält. Um so tapferer schlägt sich Listenführer Daniel Cohn-Bendit. Obwohl er schon mehrmals angepöbelt wurde, wagt er sich immer wieder in Feindesland vor. Er sucht sogar den Dialog mit gemäßigten Jägern und überlebte ein Gipfeltreffen mit einem CNPT-Vorsteher.

Das Faustrecht der Grünröcke ist nur möglich, weil die klassischen Parteien verlegen wegschauen. Angestammte Politiker fürchten nicht so sehr die CNPT, die in Meinungsumfragen auf kaum 3 Prozent der Stimmen kommt, sondern viel mehr die Masse der 1,2 Millionen lizenzierten Freizeitschützen, die in den etablierten rechten Parteien über beträchtlichen Einfluß verfügen. Nur die Grünen stimmten in Frankreich 1998 gegen ein EU-widriges Gesetz, das die Jagd auf Wandervögel ausdehnte.

Die Schonzeit für die Jäger hat ihren Grund auch in den eher günstigen Umfrageprognosen für die Verts, die am kommenden Sonntag bis zu 9 Prozent erzielen könnten. Selbst ihre sozialistischen und kommunistischen Regierungspartner stört es nicht unbedingt, daß Cohn-Bendit den Jägern ins Messer läuft. Das Enfant terrible der französischen Politik entlarvt nämlich im Wahlkampf auch sie als Phrasendrescher: Die gleichen Listenführer der großen Parteien, die im Wahlkampf das Hohelied der europäischen Einigung singen, werden sich kaum im Europa-Parlament sehen lassen. Außer Cohn-Bendit sagt das im Land der chronischen Ämterhäufung aber niemand allzu laut. Stefan Brändle