Die Güte von Herrn Goldt

■ Max Goldt, der Entdecker des Blickfetts, las im völlig ausverkauften Vegesacker KITO über Krieg und arme Kinder. Was Ernstes? Keine Sorge!

Da erzählt einer, wie sie im Fernsehn einen ehemaligen Pilzexperten der UNO zeigten, der kam ins Altersheim, und sein Zimmernachbar hieß Pilz. Da sitzen hundert Leute, die lachen darüber. Das sind Herr-Goldt-Fans.

Niemand weiß, wo sie wohnen, wieviele es sind und ob es immer dieselben sind. Vielleicht wohnen sie in dem dünnbesiedelten Gebiet nördlich von Farge in Höhlen, wer weiß. Jedenfalls: Wo Herr Goldt auftritt und selbstgeschriebene Texte vorliest, sind diese seltsamen Fans da, die man sonst nie trifft (sonst wäre die Welt eine bessere), Mittvierziger zumeist, gern Kahlrasierte oder Jüngere und Frauen, die so tun, als verstünden sie, worüber sie lachen. Am Mittwoch im KITO in Vegesack war sogar einer da, der hatte nur Koteletten, sonst alles ab, vom Brillenbügel abwärts aber bis unter die Ohrläppchen wachsende Koteletten, die an Herrn Goldts Koteletten erinnerten. So weit kann wirkliches Fantum gehen!

Herr Goldt ist für einen Dichter nicht so dünn, wie man annehmen könnte, eher, wie meine Mutter sagen würde, stattlich. Er geht nicht, er schreitet. Er lacht nicht, er lächelt. Er trägt eine Hose, die in Kniehöhe aufgesetzte Taschen aufweist, was merkwürdig martialisch wirkt zum Altherrenjackett. Sein Hemd könnte immerhin aus Seide sein, sicher ist, daß es schwarz ist. Ein bißchen stört, daß die Nase von Herrn Goldt stark glänzt, weil Herr Goldt denkt, er sei ja nicht im Fernsehn, weil er nie im Fernsehn auftritt.

Die Frage drängt sich auf, ob der Johannes dieses Mannes ebenso glänzt und beide also ungepudert sind, ein zugegeben grober Witz, der sein Niveau von einem Witz des Herrn Goldt bezieht. Große Männer, behauptet er, hätten es schlechter, weil sie von Schwulen so angesprochen werden: Naaa, ist alles andere auch so groß?

Wirklich verstanden wird Herr Goldt ausschließlich vom Hochfeuilleton, und hier zitiere ich gern die Dame Gabriele Killert von der ZEIT: Goldt travestiert das desorganisierte Geschnatter als organisiertes Gebrechen ... wenigstens in der komischen Kasuistik springt aus Albernem (das Kreisen der verlorenen Dinge im Jackeninnenfutter) gelegentlich etwas Sublimes (die unerreichbare Nähe zur Welt) – sagen wir: eine bescheidene Signifikanz heraus. Haben wir es auch etwas volkstümlicher? Aber klar: Max Goldt bezieht keinen eindeutigen Standpunkt, es wird nicht klar, ob er als Feminist, Linker oder sexistisches Arschloch schreibt. Er schreibt aus der Sicht eines Mannes und verharmlost so die ganze Situation. Das schrieben im Jahr 1997 „Autonome Marburger und Gießener FrauenLesben“ auf ein Flufblatt.

Die meisten Feuilletonisten, die über Herrn Goldt schreiben, benutzen irgendwann wie eine eigene Entdeckung das Wort Quartalsprediger, was auch ich hiermit erledigt hätte. Herr Goldt redet seiner Fanschaft ins Gewissen, immerfort in allem das Gute zu sehen und zu genießen und das Ich dabei solide mit Abgrenzungshaß zu füttern. Mit seinen eigenen Worten: Ich gehöre nicht zu den Leuten... (hier Beliebiges einsetzen! Wirklich Beliebiges!). Im übrigen Höflichkeit! Nachdenklichkeit! Distanz und vornehme Zurückhaltung! Und Kinder sollen dreckiges Zeug vom Sperrmüll in die elterliche Wohnung schleppen!

Wer dieser Herr Goldt eigentlich sei, über den hier viele Worte verloren werden, fragen Sie? Ein Göttinger Kind, Jahrgang 1958, heute Berlin, bei der Titanic hat er 1998 in den Sack gehauen; dort hatte er neun Jahre lang sogenannte Kolumnen vollgeschrieben.

Heute reist er lesend – oder besser: seine Fans kitzelnd – durchs Land. Wollte man das Lachen seiner Fans in Glasmurmeln messen – jeder könnte am Abend mit einem Säckchen voller Murmeln nach Hause schunkeln. Mein prall gefülltes Säckchen würde ich einem kriegsblinden Bahnhofsbettler in seine verdorrten Hände legen – so sehr hat mich die Güte von Herrn Goldt angesteckt.

Burkhard Straßmann