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Das wunderharte Scheißleben in Bildern und Tönen

■ Die Silvesterveranstaltung mit dem größten Underground-Wert findet dieses Jahr im Fama-Kino statt

Der altehrwürdigen Tradition von Drastik und Groteske als künstlerische Darstellungsprinzipien ist der Filmregisseur Christoph Schlingensief unbedingt verpflichtet. Egal, ob der Splatterstreifen Das deutsche Kettensägenmassaker oder die Theaterinszenierung an der Berliner Volksbühne Gib mir den Kopf von Adolf Hitler, jede seiner Produktionen sorgte unter ihren Rezipienten für produktive Unruhe. Das wird auch bei seinem neuesten Film United Trash – Die Spalte nicht viel anders werden, bei der kürzlich stattgefunden habenden Pressevorführung lichteten sich jedenfalls die Journalistenreihen in rekordverdächtigem Tempo.

Auf der Silvesterparty im Hamburger Fama-Kino, die aparterweise einen Tag vor dem eigentlichen Termin, am 30. Dezember, stattfindet, kann sich ein jeder selbst ein Bild von Schlingensiefs eigensinnigem Kommentar zu den UN-Friedenseinsätzen machen. United Trash wird dort beinahe drei Monate vor dem Bundesstart am 22. Februar zum erstenmal öffentlich gezeigt. Das ist in der (Ausnahmen bestätigen die Regel) mehr den schönen Bildern denn dem Untergründigen zugewandten Hamburger Kinoszene ein schon gar nicht so kleines Ereignis.

Zumal Schlingensief keineswegs allein dastehen wird – wenngleich sich auch die anderen Mitwirkenden der Silvesterveranstaltung, mit Schlingensiefs Wutspaß und seiner allumfassenden Angriffslust verglichen, wie eine Gruppe von Nischenkulturkriegern ausnehmen. Immerhin: Auch was sie zu sagen, zu zeigen und zu spielen haben, lohnt. Der Musiker Max Müller stellt seinen Kurzfilm Das Leben des Sid Vicious zur Verfügung, das Filmteam „Sunny day Gore“ zeigt Videomaterial im Paarminutenformat mit Titeln wie Die sieben singenden Sakeflaschen oder den Superheldenstreifen Herbert Held, Drastik und Groteske eben, mit Ausschlägen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Wenn wir uns richtig erinnern, hat Nekromantik-Filmer Jörg Buttgereit seinen Kurzfilm Der Vater auf einer Berliner Silvesterveranstaltung gezeigt, dieses Jahr läuft er jedenfalls auch im Fama.

Zwischen den Filmen treten Musikgruppen auf, die einen ultimativen Kuddelmuddel-Core aufführen, Stücke, bei denen Witz und Härte dicht an dicht beieinander liegen. Auf einen musikalischen Nenner sind die Bands Tulip, Stau, Unhold und Teer Gleene Muck nicht zu bringen, aber es verbindet sie ein Grundgedanke: das wunderharte Scheißleben in ein paar Strophen oder Refrains zu packen. Wie zwischen Skylla und Charybdis bewegen sie sich auf der einen Seite am persönlichen Absturz vorbei, auf der anderen müssen sie zuviel falsches, bezugslos gewordenes Gerede passieren. Solche Expressionisten des Herzens liegen im Prinzip nie falsch, selbst bei einem Publikum, das darauf getrimmt sein mag, weniger weltumspannenden Formeln nachzuspüren oder zu entkommen, und lieber nach aktuell heißen Eisen Ausschau hält.

Kristof Schreuf/drk

Sa, 30. 12., 21 Uhr, Fama-Kino

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