Kunstquartier Venedig
: Werbe-Images und Ostblock-Witze

■ Orientierungspunkte im Länderdurcheinander bei der 48. Kunst-Biennale in Venedig

Allemagne: huit points, France: dix points, et Romanie: douze points. Die Punktwertung vom Grand Prix Eurovision kommt einem sehr zu Hilfe, wenn man nach sechs Stunden den roten Faden nicht wiederfindet zwischen 30 Biennale-Pavillons. Daumen hoch, Daumen runter, das schafft Ordnung im Kopf. Dagegen kann kein Kurzführer erklären, welchen Weg man in dem Länderdurcheinander einschlagen soll: Zwar liegt Island gleich neben dem italienischen Pavillon, und kurz dahinter beginnt das Areal der USA; aber wenn man schräg von unten, vom Wasser her, an Uruguay vorbeigeht und rechts abbiegt zu den Franzosen, dann verpaßt man sicher Australien – oder war es Israel? Schließlich ist der Parcours durch die Giardini nicht als Flaniermeile angelegt, sondern als Infostrecke für Experten. An manchen Pavillons versammeln sich ohnehin so viele Galeristen und Museumsmenschen, daß es viel eher an eine Kunstmesse erinnert.

Vor dem englischen Gebäude hält Jay Jopling von der Londoner „White Cube Gallery“-Residenz, während Gary Hume drinnen die Gemäldeproduktion der letzten vier Jahre vorführt – Datum, Maße und Leihgeber inklusive. Überhaupt scheint sich britische Kunst von Trash und Trainspotting zur Bastion für echte Connaisseure zu entwikkeln. So magersüchtig wie die Models auf Humes Bildern, so ästhetisch wie die gelackten Oberflächen und so tief in der Malerei von den Flamen bis zur Pop-art schürfend zeigt sich heute sonst niemand. Während allerorten an einer Neubewertung vom globalen Medienbestand gearbeitet wird, steht man nun vor dem Bild einer Amsel, die nichts anderes sein will als ein hübsch bläulich geschwungener Vogel; und eines der Girls lächelt wie bei Vermeer.

Besonders atemberaubend ist dieser Parforceritt durch Hochglanzbände und Kunstgeschichte nicht. Zu offensichtlich bemüht der Brite Werbe-Images, um seine eigene Handschrift mit Zitaten aufzupeppen: Eine Art „Face“-Lifting.

Umgekehrt nähert man sich zögerlich dem Pavillon der Rumänen, weil dort in den Jahren zuvor im Glauben an Gott getöpfert wurde – und staunt dann über alle Maßen. Die Arbeit von Dan Perjovschi erstreckt sich wie eine Tapete über den Fußboden. Acht Tage hat Perjovschi sein über Jahre angehäuftes Notizbuch mit Zeichnungen zu Kunst und Politik auf ein ausuferndes Bildmosaik übertragen: Wie beim Hinkepottspiel hüpft man von Kommentaren zum Nato-Einsatz auf einen Cartoon über künstlerische Netzwerke (West) und miese Ausstellungsbudgets (Ost). Mittenmang grüßt die Securitate aus einem zerteilten Kopf, und der Modedesigner Calvin Klein schaut mit „Think big. Just think“ vorbei.

Perjovschi lebt in Bukarest von politischen Karikaturen für eine linke Zeitung. Aus der versteckten Agitation im Stil alter Ostblock-Witze wird im Pavillon eine ebenso pointierte wie sporadische Erzählung über das Leben in kleinen Formaten und Fragmenten. Umgekehrt mag man aber auch Rosemarie Trokkel stundenlang zusehen, wenn sie in einem Video nach Spuren einer rheinischen Kindheit sucht. Langsam kreist die Kamera über eine Go-Kart-Bahn, verharrt bei einem Hundehalter, der seinen Dackel an der Leine zieht, oder sie schnappt Kinder beim Softballmatch auf. Trokkels Hingabe ist zwar voller Melancholie, doch die Schnitte und Überblendungen sind auf den Punkt genau gebracht. So driften Menschen um die Vierzig.

Manche Länder setzen auf großzügig finanzierte Kooperationen, und sie lassen etwa den Amerikaner Jason Rhoades mit Peter Bonde im dänischen Pavillon schwer jungsmäßig auf Racing Cars abfahren. Andere, wie etwa Frankreich, leiten einen Austausch mit China in die Wege, damit ihnen das Künstler-Paar Bertrand/Huang Yong den Pavillonboden ausgräbt und gewaltige Baumstämme durch die Glasdecke bohrt.

Ann Hamiltons US-Beitrag wurde von Gucci gesponsert – jetzt riecht der rote Pigmentstaub nach Kosmetiksalon. Und noch andere wie Nedko Solakov haben ihren eigenen tragbaren Pavillon mitgebracht. Weil Bulgarien sich seit 1964 nicht mehr an der Biennale beteiligt, hat er eine Postkarte gedruckt, auf der das Land seine Rückkehr für 2001 ankündigt. So hebelt man die mageren Verhältnisse daheim aus.

Harald Fricke