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Hymnen für denkende Prolls

Ein Schnellmixer auf der Suche nach der verborgenen Internationale des Funk: Am Sonnabend haut der Detroiter DJ Aussault den Tänzern im Tresor wieder einmal die Tracks um die Ohren – im Eilverfahren  ■   Von Nils Michaelis

Die Musik wird ungemütlich. Ab 150 beats per minute braucht man auf der Tanzfläche Leute, die diesen Groove begriffen haben – alle anderen müssen sich entscheiden. DJ Assault neulich im Maria am Ostbahnhof: Im Eilverfahren und unermüdlich haut der Detroiter den Tänzern die Tracks um die Ohren. Und was man in der Welt der eher geraden Beats aus Detroit zunächst nicht erwartet: Ob Miami Bass, Drum 'n' Bass, ein kurz aufblitzender R & B-Charthit oder gar ein Eurythmics-Sample: Immer ist es funky, geradezu schmerzhaft funky.

Die Musikologen halten DJ Assault für interessant, loben ihn dafür, auf dem Grund von Techno und House so etwas wie eine bislang verborgene Internationale des Funk nachgewiesen zu haben. Anderen war der Knochen zu hart: Stell dir vor, du bist nüchtern im Darkroom und alle anderen sind auf Pille. Zumindest einige Tänzer finden, daß doch eine ziemlich heiße Scheiße gereicht wurde.

Jetzt ist DJ Assault schon wieder in der Stadt. In Friedrichshain soll der Schnellmixer im Rahmen der DJ-Akademie angehenden DJs Anleitungen geben. Später wird er im Tresor praktizieren. Mitgekommen ist Mr. De, mit dem Assault in Detroit die boomenden Labels Electrofunk und Assault Rifle betreibt.

Für das Interview trifft man sich in der Berliner Filiale einer amerikanischen Steakhauskette. Assault gibt den wortkargen Künstler, beantwortet Fragen mit mürrischem Gemurmel und blickt schüchtern in die Umgebung. Wenigstens Mr. De kooperiert. Er tunkt ein Stück seines scharf angebratenen Steaks in eine fette Soße. Ein aufgeräumter Bursche, der viel spricht – und zwar mit Genuß: „Ich habe gehört, daß man in Berlin wohl nicht recht wußte, wie man zu der Musik zu tanzen hat. In Detroit wächst man damit auf. Schon in der Schule gibt es Tanzwettbewerbe. Das trainiert die Leute und macht Tanzen zu etwas Selbstverständlichem.“

Was in Berlin gespaltene Meinungen hinterließ, ist in ihrer Heimatstadt der regierende Sound, versichert Mr. De: „In Detroit und im gesamten Bundesstaat Michigan sind wir absolut Mainstream. Unser Sound läuft dort im Radio und auf den meisten Partys. Die Musik gibt es bei allen Plattenhändlern, vom Underground bis zu den Läden der großen Ketten.“

Bevorzugte Austragungsorte für die gern mit deftigen Texten gewürzten Tracks („Ass And Titties“, „I Guess I Fuck The Bitch“ oder „Shake That Ass And Let Me See What You Got“) sind die örtlichen Stripbars oder das verfallene Detroiter Viertel Belle Isle. In Belle Isle trifft man sich aus der Umgebung, um hier die Party steigen zu lassen. Die Musik kommt aus den „Boom Cars“: Autos, die wirken, als seien sie getarnte Behältnisse für extraschwere Stereoanlagen mit Baßboxen Marke King Size. Eine Art Love Parade im Westentaschenformat – und das jedes Wochenende. Konfrontationen bleiben hier Ausnahme – als ob die Musik alle Energie abschöpft.

Und die Geschichte vom deindustrialisierten Detroit, von der Abwanderung der Autoindustrie nach Mexiko, von Ghettos und Desperados? Das ist nicht die Geschichte von Mr. De. „Assault und ich kommen aus der Mittelklasse. Wir sind keine Kinder des Ghettos. Mit der Musik und der Plattenfirma verdienen wir genug Geld. Es gibt diesen Endzeitmythos von Detroit, aber das ist Unsinn. Es ist immer noch die fünftgrößte Stadt der USA. Der Autoindustrie geht es wieder besser, und es gibt viele Jobs. Das Geld ist da.“

Um so verwunderlicher, daß Booty House auf Detroit, Chicago bzw. Michigan beschränkt bleibt und in Berlin auf ein eher kleines Publikum trifft, das hinterher gespalten ist.

„Ich habe den Eindruck, daß die Leute hier den alten Sachen aus Detroit nachhängen. Ein großer Teil der Musik, die hier als Detroit-Sound gehört wird, wird hauptsächlich in Europa verkauft. Es ist diese seltsame Vorstellung von intelligenter Musik, die man darin sieht. Aber wodurch zeichnet sich intelligente Musik aus? Ich könnte das nicht sagen.“

Gute Frage. Vielleicht liegt die Musik zu sehr neben den eingeführten Kategorien und ist vor allem kein Intelligent-Techno irgend einer Spielart. Vielleicht sind es Hymnen für denkende Prolls. Vielleicht ist es aber auch Soul – auf einer höheren Ebene.

Heute ab 23 Uhr: DJ Assault mit DJ Edem und Wolle XDP im Tresor, Leipziger Straße 126 a,

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