Durch Kuba geradelt

Aufgrund des chronischen Benzinmangels sind die Straßen auf Kuba leer – nicht nur deshalb ist die Insel ein Eldorado für Radfahrer. Auf dem Rad bietet sich eine gute Mischung von Nähe und Distanz  ■ Von Joachim Held

Es sind noch nicht viele, die eine Fahrradtour durch Kuba wagen – aber es werden immer mehr. Wer auf den Luxus einer heißen Dusche auch mal verzichten kann und dafür malerische Landschaften genießen will, der wird reich belohnt. Da ist die windumbrauste, kurvige Bergstraße La Farola am äußersten Südost-Zipfel der Insel. Da sind Täler, in denen die Zukkerrohrfelder bis an den Horizont reichen.

An kaum einem anderen Ort läßt sich Natur und Kultur per Drahtesel so unberührt genießen wie auf Castros Karibikinsel. Zum einen gibt es aufgrund des US-Embargos nur wenig Benzin und folglich ebensowenig motorisierten Verkehr. Zum anderen nutzen fast alle Kubaner das Velo als Fortbewegungsmittel – Cárdenas gilt gar als Stadt der Fahrräder. So läßt sich die eine oder andere Strecke plaudernd und lachend gemeinsam zurücklegen, und die echten Geheimtips gibt es gratis dazu. Mit den Füßen auf den Pedalen entflieht der Radler gewissermaßen jeder staatlichen Kontrolle. Der máximo lider hält nicht viel von Selbständigkeit und Meinungsfreiheit, aber auf Rädern und unter vier Augen läßt sich dem Kubaner manche Ungeniertheit entlocken.

Die rigorose Staatsführung bietet dem Touristen freilich auch Vorteile. So gilt Kuba immer noch als eines der sichersten Reiseländer Welt. Ferner darf sich der Radfahrer darüber freuen, daß fast alle größeren Straßen asphaltiert sind und ihr tadelloser Zustand nicht zuletzt darin begründet liegt, daß sie mehr von Fahrrädern als von Autos genutzt werden. Wenn sich jetzt noch herumspricht, daß die touristische Infrastruktur immer besser wird, der verschwitzte Radler fast überall eine Unterkunft findet und weder hungern noch dürsten muß, dann könnten die Zweiradfreaks bald eine feste Institution des sanften Tourismus auf Kuba werden.

Voraussetzung dafür ist, einige Grundsätze zu beachten. Regel Nummer eins: Traue keinen Straßenkarten, sondern erkundige dich immer wieder nach Straßensperrungen und Wegbeschaffenheiten, vor allem bei kleineren Straßen. Regel Nummer zwei: Verlasse dich dabei niemals auf eine einzige Antwort. Nicht deshalb, weil Kubaner vorsätzlich lügen, sondern weil sie aus Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nie um eine Antwort verlegen sind. Wer sich also erkundigt, ob er denn nun auch wirklich auf dem richtigen Weg sei, der wird zu 98 Prozent zur Antwort erhalten: Aber ja, immerzu geradeaus. Das macht zwar Mut, muß aber nicht immer korrekt sein. Um sicherzugehen, fragt man an der nächsten Ecke gleich noch einmal.

Wer dieses Prinzip einmal verinnerlicht hat, der wird sein kleines Radabenteuer genießen können, sofern er Regel Nummer drei einigermaßen beherrscht: die Sprache. Wer etwas von Land und Leuten erfahren und nicht nur Kilometer runterreißen will, der wird auf den Kontakt zu den kommunikationsfreudigen Kubanern angewiesen sein. Mit Englisch wird man außerhalb der Touristenhotels wenig anfangen können. Mit Deutsch ebenso, auch wenn man hier und da einen Kubaner trifft, der in den 80er Jahren seine Ausbildung in der DDR erhielt und daher hellauf begeistert ist, seine manchmal erstaunlich guten Deutschkenntnisse wieder aufzufrischen. Wenn allerdings einer dieser tiefschwarzen Kubaner durch seine strahlend weißen Zähne hindurch zu „sächseln“ anfängt, dann kann es passieren, daß man genausoviel versteht, als wenn er Spanisch sprechen würde.

Doch nicht nur Sprachkenntnisse sind eine gute Vorbedingung für eine solche Reise. Absolut empfehlenswert, wenn nicht gar ein Muß, ist der Kuba-Reiseführer von „lonely planet“, Autor: David Stanley. Hier sind etliche Unterkunftsmöglichkeiten in allen erdenklichen Preiskategorien aufgelistet. Zwar werden dem Radreisenden fast immer und überall Privatzimmer (casas particulares) angeboten, aber es ist dennoch am Anfang eines Tages beruhigend zu wissen, daß am Abend ein Dach über dem Kopf wartet. Ein Zelt ist daher nicht zwingend, es sei denn, es besteht der Wunsch, fern jeder Zivilisation an einem einsamen Strand oder am Ufer eines plätschernden Bergbaches zu nächtigen. Ein Geheimtip sind übrigens die in jeder größeren Stadt anzutreffenden Privatrestaurants, die paladares. Viele sind von außen nicht als solche zu erkennen, aber wer nach ihnen fragt, findet sich schon bald darauf in der gemütlichen Atmosphäre eines schmukken Hinterhofes wieder. Seit Fidel Castro in den letzten Jahren die Steuerschraube angezogen hat, ist die Zahl der paladares zwar zurückgegangen, aber das Essen dort ist nach wie vor vom Feinsten – zahlbar natürlich in Dollar.

Seit die US-Währung 1994 legalisiert wurde, ist sie de facto die Hartwährung im Land – eine Tatsache, die Fidel Castro schlucken muß wie eine Medizin, die er nicht mag. Es gibt auf Kuba allerdings auch abgeschiedene Ecken, wo das grüne Kapitalistengeld nichts zählt: Auf den freien Bauernmärkten im Landesinneren oder in weit abgelegenen staatlichen Hotels. Einen kleinen Vorrat an Pesos sollte man daher immer bei sich haben.

Fernab der Touristenpfade wird sich der Individualreisende auch damit anfreunden müssen, mit seiner Anwesenheit zur Attraktion des Tages zu werden. Der erschöpfte Biker muß dann einen Haufen Fragen beantworten und noch mehr Einladungen ausschlagen. Kein Kubaner käme wohl freiwillig auf die Idee, seinen Urlaub radelnd zu verbringen. Für ihn ist das Zweirad aufgrund des eingeschränkten Transportwesens eine Notwendigkeit, nicht aber ein Vergnügen.Das ändert allerdings nichts daran, daß Kubaner auf ihren schweren, zumeist aus China stammenden Stahlrössern ein gutes Tempo vorlegen und gerne ein Wettrennen mit dem vollbepackten Gringo lostreten.

Nicht nur deswegen ist es von Vorteil, ein Fahrrad zu haben, das gut in Schuß ist. Passende Ersatzteile gibt es aufgrund des US-Embargos kaum oder gar nicht. Man sollte das Fahrrad also vor der Reise noch mal durchchecken, nötigenfalls die Mäntel wechseln und unbedingt ein begrenztes Ersatzteilkontingent mitnehmen. Denn selbst wenn Kubaner immer helfen wollen, hier wissen sie dann oftmals doch keine schnelle Lösung, auch wenn sie aus Spaß gerne einen Fahrradtausch High-Tech-Version gegen chinesische Wertarbeit anbieten.

Der größte Fehler auf einer solchen Tour aber wäre, alles planen zu wollen. Dann sollte man gleich bei einem erfahrenen Reiseveranstalter buchen und sich einer größerenTouristengruppe samt Besenwagen anschließen. Daß die Zahl derartiger Angebote steigt, ist ein Beweis für die hervorragenden Bedingungen, die Kuba Radreisenden bietet. Doch selbst in einer solchen Gruppe dürfte das Motto lauten: Organisation ist gut, Flexibilität ist besser. Wer bestimmte Tagesetappen plant, der sollte bedenken, daß er mit einem schwerbeladenen Rad nicht so schnell ist wie daheim auf der Landstraße – schon gar nicht bergauf. Denn der Straßenbau in Kuba kümmert sich merklich wenig um die topographischen Bedingungen. So manche Asphaltpiste steigt plötzlich gnadenlos steil gen Himmel. und das kann anstrengend werden, auch wenn Kubas höchster Paß gerade einmal 1.234 Meter zählt. Drei oder vier Fahrradflaschen an Bord sind da genauso ratsam wie eine Packung Micropur-Tabletten, denn nicht überall wird man Trinkwasser kaufen können und folglich auf Leitungswasser zurückgreifen müssen.

Ferner sollte der Naturfreund einkalkulieren, daß der Wind zumeist aus Osten bläst, und wer ihn gegen sich hat, der wird genausoviel Kraft zum Fluchen wie zum Radeln verbrauchen. Weniger reizvolle Strecken, zum Beispiel die unendlich weite Ebene zwischen Bayamo und Ciego de Avila, lassen sich ruhigen Gewissens mit dem Zug bewerkstelligen. Die Tickets dafür müssen rechtzeitig besorgt werden. Die Mitnahme eines Fahrrads ist kein Problem. Jeden Abend startet eine Bahn in Havanna und eine in Santiago. Doch selbst auf diese Ost-West-Verbindung sollte sich der Reisende nicht blind verlassen – schon gar nicht auf deutsche Pünktlichkeit, aber die ist ja inzwischen auch mehr Mythos als Wirklichkeit.

Auch auf Kuba gibt es für jedes Vorurteil passende Erlebnisse: Armut und imponierende Lebensfreude, wunderschöne Strände und uralte Autos, staatliche Willkür und Prostitution. Wer aber das richtige Tempo sucht, um Kuba zu erleben, dem sei das Fahrrad empfohlen, denn es bietet die richtige Mischung aus Autonomie und Konfrontation. Und ungewöhnlicher Erfahrung.