: Geniekult mit Kulturgehabe
„Zeit Blicke“ vom Bund Freischaffen-der Foto-Designer: Der hat mit Oliviero Toscani ein neues Promi-Mitglied ■ Von Gisela Sonnenburg
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ie Lacher hat er auf seiner Seite: „Wenn du ein Genie bist, dann hast du nur eine Idee, aber die klar und deutlich. Wenn du zwei Ideen hast, bist du schon zu zerstreut.“ Oliviero Toscani, fotografischer Tausendsassa und spätestens seit seiner „Benetton“-Campagne der streitbarste Werbestratege, würde für ein Bonmot vermutlich sein letztes Hemd geben. Bestens gelaunt präsentierte sich der aus Mailand stammende Provokateur in Hamburg. Seit Samstag ist er Ehrenmitglied des Bundes Freischaffender Foto-Designer (BFF). In der BFF-Jubiläumsschau Zeit Blicke im Museum für Kunst und Gewerbe hängen Olivieros Fotos nicht; sie ist ein Rückblick auf die dreißigjährige Geschichte des in Stuttgart ansässigen Berufsverbandes.
Ein Rückblick auf Sternstunden der Fotokunst: Über sechshundert Arbeiten von hoher und höchster Qualität lassen den sich wandelnden Zeitgeist Revue passieren. Die Bilderflut, ursprünglich noch umfassender geplant, geht weder chronologisch noch nach Sparten vor, sondern läßt den Weltgeist sich stets neu gebären; Modefotos und Porträts, Reporterbilder und Stilleben, Werbeinszenierungen und Experimente mischen sich. Auf Großformate wurde – leider, leider – zugunsten der Aneinanderreihung des Verschiedenen, oft Gegensätzlichen, verzichtet. Thomas Höpkers Porträt des Hamburger Malers Horst Janssen aber wünscht man sich größer als in DIN A4: Stiefmütterchen prangen da statt der Augen, dafür platzt dem Berserker die Vitalität schier aus jeder wohlverdienten Falte. Auch Peter Lindbergh muß bescheiden bleiben: Seine Mathilde on Eiffel Tower zeigt die schärfste halbnackte Heroine, die man sich über den romantisch vernebelten Dächern von Paris denken kann. Will Mc Brides Rote Hand von 69 wirkt dagegen auch klein wie ein Stopsignal. Und demonstriert den Pop fast stärker als die Modefotos.
In welche Richtung sich Fotografie entwickelt, gelingt der schlauen Bilderschau nachzuweisen: Es gibt, weiterhin zunehmend, ein Mehr von allem. Ein Mehr an Sex, an Tabubruch, an Ambivalenz, an Schock, an Ästhetik, ein Meer letztlich an Möglichkeiten, nicht nur affirmativ zu arbeiten, sondern den Kunstfaktor samt Provokationsnote auch am noch so banalen Sujet zu verwirklichen. So folgt der Kommunenfreiheit in Nahaufnahme von 72 die strenge Warenwelt der 80er Jahre. Was für ein Kulturgehabe wird darin um den Fetisch Geld-und-Gloria betrieben. Welch starre Eleganz, welch aseptische Kälte faszinierte uns damals, als nützliche Dinge wie Autos, Architektur, Lebensmittel zu Statussymbolen mit Perfektionsanspruch verkamen: Eine aufgeschnittene Artischocke hat die Ausstrahlung einer tiefgekühlten Leiche, ein Reifen die einer Skulptur. Da retten Herlinde Koelbls legendär beschämten „feine Leute“ vorm Absaufen in Image.
Knallhart dann die Reporterfotos. Walter Schmitz fing 86 ein brasilianisches Kind ein, das einen Fußtritt an den Kopf bekommt. Der Schmerz des Jungen verzerrt sein Profil. Gerhard Linnekogels Junkies nehmen keine Rücksicht, und Hans-Jürgen Burkard kann einen russischen Knast bildnerisch mit einem KZ vergleichen, ohne zu lügen. Den toten Barschel in der Badewanne habe ich allerdings vermißt, wie überhaupt negative Höhepunkte ausgespart bleiben. Wo man Reißerisches erwartet, spendet die Verbandsschau kontemplative Ruhe; wo sie historische Bezüge bringen könnte, flüchtet sie in Selbstbeweihräucherung. Doch auch die jüngsten Trends werden erfaßt, will sagen: As time goes by. noch bis zum 29. August im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, Di bis So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Katalog: 552 Seiten, meistens Bilder, 49 Mark
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