Der breite Gehweg der Verheißung

■ Biblische Bärte, bunte Kostüme: Kurt Weills großes jüdisches Erweckungswerk wurde in Chemnitz aufgeführt. Ein Bühnenfestspiel der Heilsarmee hätte naiver nicht sein können

Der Dirigent John Mauceri ist Amerikaner, der auch für die Kostüme zuständige Bühnenbildner David Sharir Israeli und der Regisseur Michael Heinicke ein Deutscher. Da „Der Weg der Verheißung“ von vornherein auch für Aufführungen an der Brooklyn Academy of Music in New York, im Haus der New Israeli Opera am König-Saul-Boulevard in Tel Aviv und an der Opéra Kraków bestimmt ist, sollte das Leitungsteam des Unternehmens der gewünschten „internationalen Koproduktion“ entsprechen. Die demonstrative Geste steht einem Unternehmen gut an, das 1934 kurz hinter der deutschen Grenze – in Salzburg – den Anfang nahm und vor etwas mehr als 60 Jahren in den Vereinigten Staaten erstmals zur Wirksamkeit gelangte: ein großes jüdisches Bekenntniswerk, das im Reflex auf die Bedrohung und Verfolgung der Juden in Europa entstand und dessen Spuren – in beiden historischen Richtungen – ins „gelobte Land“ reichen.

Gewaltig türmt sich die musikalische Architektur des biblischen Dramas „The Eternal Road“. Das szenische Oratorium prunkt, eingefaßt von einer Rahmenhandlung in einer Synagoge der dreißiger Jahre, mit dem Baustoff einer kommenden Welt: mit stramm aufmarschierenden Chor-Massen, mit dräuenden und jubelnden Orchester-Partien und mit dem Sprachpathos der sich zur Jahrhundertmitte hin polarisierenden Welt; nicht selten auch mit Reminiszenzen an den erotisch verführerischen Sound der zwanziger Jahre. Für den hohen Ton der Texte, nicht immer glücklich getroffen, war Franz Werfel verantwortlich. Der Dichter inklinierte längst zum Katholizismus, sollte jedoch auf Wunsch eines führenden Funktionärs der zionistischen Bewegung nach der „Machtergreifung“ der Nazis ein jüdisches Bekenntniswerk liefern.

Bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Chemnitz wurde jetzt eine Textbearbeitung zugrunde gelegt, die am Ende von Werfels Blickrichtung auf die Landnahme in Palästina (und damit der zionistischen Problematik) deutlich ausweicht. Hineinprojiziert wird die „Reichskristallnacht“, die erst knapp drei Jahre nach der Uraufführung stattfand. Zwar lag seit dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs „wirklich Brandgeruch“ in der europäischen Luft, wie Werfel im September 1936 an Weill schrieb; doch bleibt, auch wenn man manch andere Retusche akzeptieren mag, der Chemnitzer Schluß gegen die Idee einer konkreten Verheißung gerichtet. Werfel führte eine bedrohte jüdische Gemeinschaft vor Augen: Ihre Mitglieder sind aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen in die Synagoge geflohen. Orthodoxe und Assimilierte, ein großer Skeptiker und eine eingeheiratete Frau treffen in der Pogromnacht zusammen. In der Not besinnen sie sich gemeinsam der Schrift – sie gab den Urvätern jene Verheißungen, die von den Propheten fortgeschrieben wurden. Und die werden, was nicht unproblematisch ist, zu Theater-Bildern. Eine Folge von biblischen Szenen, rüde reduziert, präsentiert wichtige Stationen der frühen Geschichte des jüdischen Volkes: Ausgehend von Abraham und den anderen Stammvätern, der ägyptischen Gefangenschaft und den religionsstiftenden Unternehmungen von Moses, führte der „Weg der Verheißung“ zur großen Wanderung und Läuterung durch den Sinai und zur stets gefährdeten Seßhaftigkeit, zum kurzen Glanz und der langen Dekadenz des jüdischen Königtums, zu den Mahnungen der Propheten und schließlich in die babylonische Gefangenschaft.

Für die Rahmenhandlung wurde in Chemnitz eine orientalische Synagoge errichtet mit all dem Ornat, den ein solches Bethaus aufweisen kann. Dessen Rückfront tut sich für die einzelnen biblischen Szenen zu einem Theater auf dem Theater auf: Theo Adam erscheint als Abraham in lang wallendem grauen Haar, Matteo de Monti als Mose mit nicht minder wehender blonder Mähne. Der Prophet Jeremia tapert herein wie ein Rübezahl, der sich in die Dekoration für die „Entführung aus dem Serail“ verirrt hat. Im Idealfall konstitutieren sich Erinnerungen an die nazarenische Malerei des 19. Jahrhunderts. Hauptsächlich aber preßt diese Form der Bebilderung und Kostümierung, ebenso wie die stark ans Stadttheater der dreißiger Jahre erinnernden Kostüme, das Werk in eine naive Anschauungsform; so hätte vor ein paar Jahrzehnten noch ein Bühnenweihfestspiel für die Heilsarmee aussehen können.

Breit strömen die Bahnen der Musik, die stilistisch in voller Absicht vielfältig zusammengemischt wurde. Am Wegesrand grüßen die Wiesenufer von Smetanas „Moldau“, Mendelssohn, Tschaikowsky und der Sound der linken Arbeiterlieder der zwanziger Jahre, gewaltig aufschäumende Tschaikowsky-Orchestermotive und neobarocke Bach-Figuration aus dem verblassenden Geist einer neuen Sachlichkeit. So sehr die Chorstimmen von der „Lehrstück“-Erfahrung geprägt (und entsprechend einfach) blieben, so sehr holte das klassisch-romantische „Erbe“ Kurt Weill beim weiten Ausgreifen des symphonischen Orchestertons ein. Dieses Werk bedeutete für Weill in Amerika eine neue Dimension der Schichtungs- und Montagetechnik: die Basis für seine Broadway-Produktionen und das Sprungbrett nach Hollywood. Inzwischen ist eine solche Musik der vielschichtigen Erinnerung nicht mehr unbedingt eine der Verheißung. Frieder Reininghaus