Hühnerskandal sorgt für Dehaenes Waterloo

■  Belgiens Premierminister Jean-Luc Dehaene tritt nach verheerender Niederlage bei Parlamentswahlen zurück. Grüne verdoppeln ihre Stimmen, auch Rechtsextreme legen zu

Brüssel (taz) – Die belgische Regierung unter Ministerpräsident Jean-Luc Dehaene ist gestern zurückgetreten. König Albert II. nahm die Demission an. Wen der König mit der Regierungsbildung beauftragt, war zunächst noch offen. Das Ergebnis der belgischen Parlamentswahlen vom Sonntag glich einem politischen Erdbeben. Die seit zwölf Jahren regierenden Parteien, die flämische Christliche Volkspartei (CVP) und die Sozialisten (SP), sowie ihre wallonischen Pendants PSC und PS mußten massive Stimmenverluste hinnehmen. Mit einem Verlust von neun Sitzen stellen die Christdemokraten nur noch 32 der 150 Sitze und verlieren erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ihre dominierende Position.

Im flämischen Landesteil trug die CVP aufgrund des Dioxinskandals das größte Minus. Belgische Zeitungen sahen die CVP gestern bereits „im Koma“. Deren Chef Dehaene, der als entscheidenes Bindeglied zwischen den auseinanderstrebenden Landesteilen Wallonien und Flandern zählt, hatte sofort nach Bekanntwerden der ersten Ergebnisse „Konsequenzen“ aus seiner Niederlage angekündigt. Unklar dürfte sich der künftige Kurs der belgischen Integrationspolitik der drei Landesteile Flandern, Wallonien und Brüssel entwickeln.

Die Sozialisten büßten bei den Wahlen sieben Mandate ein und landeten bei 34 Sitzen im Brüsseler Parlament. Großen Zuwachs erlebten dagegen die flämischen Grünen, Agalev, die gemeinsam mit ihrer wallonischen Schwesterpartei Ecolo auf 20 Sitze im Parlament kommen und ihr Ergebnis damit verdoppeln konnten. Von den Vertuschungen um die Dioxin-vergifteten Hühner profitierte neben den Grünen auch der rechtsextreme Vlaams Blok, der zwei Sitze zulegen konnte. Die große Gewinnerin ist gleichfalls die Liberaldemokratische Partei – die eigentlichen Konservativen des Landes, deren Chef Guy Verhofstadt das Ergebnis mit dem „Willen der Bevölkerung nach Veränderungen in der Politik“ Belgiens erklärte. Seine Partei erzielte 41 der 150 Sitze im Parlament und wird voraussichtlich eine Koalitionsregierung bilden.

Das Ergebnis ist allerdings wenig überraschend. Denn die Quadriga aus zwei sozialistischen und christlichen Parteien hat in den vergangenen Jahren sämtliche politischen Skandale und Konflikte Belgiens unter der Koalitionsdekke gehalten. „Alles was Opposition ist, gewinnt“ lautete darum die Stimmung. Der Dioxinskandal war knapp vor den Wahlen eher die Bestätigung des Zustands, zu dessen Abhilfe die Wähler nun selbst beitragen konnten.

Die VLD hatte ganz offenbar den Bonus, daß sie der politischen Landschaft ein neues Gesicht zu geben versprach. Beachtung muß darum die Koalition finden, die Guy Verhofstadt nun bilden wird. Bereits gestern wurde über Drei- und Vierparteien-Koalitionen spekuliert, mit oder ohne die „Sozialistischen Barone“, mit oder ohne Christdemokraten. Von der Gewichtung dieser Koalition wird abhängen, ob die Wähler bekommen, wofür sie offensichtlich votierten: für transparentere politische Verantwortlichkeiten.

Peter Sennekamp