Medea als Popsong

■ Produktionen der belgisch-holländischen „Schauspielerrepublik“ in den Sophiensälen

Alle Macht geht vom Schauspieler aus: So ähnlich könnte das Grundgesetz der holländisch-belgischen „Schauspielerrepublik“ lauten. Man weiß ja nicht viel über diese beiden Nachbarländer. Aber daß sich gerade dort mehrere junge und erfolgreiche Theatergruppen und –künstler zu einer offenen, grenzüberschreitenden „Republiek“ zusammengeschlossen haben, paßt zum schönen Klischee von vorhanglosen Fenstern und taghell erleuchteten Autobahnen.

Einige Co-Republikaner stellen sich derzeit in den Sophiensälen vor: Dood Pard aus Amsterdam zeigte „medEia“ und „mission impossible“; von morgen an spielt die Theatergruppe Stan aus Antwerpen „point blank“ nach Tschechows „Platonow“ in einer Koproduktion mit portugiesischen Schauspielern.

Eine „Theatrelounge“ mit Lesungen und Kurzperformances sollte die Brücke zu potentiellen Kunstgenossen in Deutschland schlagen, wo man die kollektiven Organisationsformen verschworener betreibt und die freie Kooperative flüsternd Netzwerk nennt: Vor allem Gießener Performancegruppen favorisieren ebenfalls die fluktuierend projektbezogene Arbeitsweise ohne ausgewiesene Regie. Und tatsächlich erinnern manche Elemente in Dood Paards verunsicherndem Spiel mit Theater- und Kunstkonventionen, Nähe und Distanz zum Publikum, zwischen Rollenfiguren und eigener Biographie an Showcase Beat Le Mot oder Gob Squad.

In der Schauspielerrepublik stehen Text und Textheater im Vordergrund. Dood Paard, zu deutsch „totes Pferd“, löst das Sprachproblem mit charmantem Ausländerdeutsch sowie hilfesuchenden Fragen ans Publikum. Auf dieser Mischung basiert „mission impossible“ von Rob de Graaf, ein Performance-Mix, der sich betont zeitgeistig gibt.

Geschmeidig, linkisch, lässig lagern Oscar van Woensel, Manja Topper und Kuno Bakker auf spärlich möblierter Bühne um einen Amsterdamer DJ und verlesen statistische Kuriositäten (“Jeder zehnte Mensch ist ein chinesischer Bauer“), als handle es sich um zutiefst philosophische Thesen. Aus diesem Beliebigkeitsexzeß schälen sich drei private Leidensgeschichten. Migräne, Beklemmungen beim Shopping und urbane Einsamkeit sind die Symptome; „back to nature“, Verschwörungstheorien und Fetischismen aller Art empfiehlt man sich im Selbstgespräch zur Eigentherapie.

„Unsere Generation braucht ein Thema“, heißt es einmal. Welches nur? Sich selbst. So lautet die lakonische und beträchtlich breitgewalzte Antwort in „mission impossible“. Vor dem narzißtischen Weltschmerz mit moralischen Unterströmungen retten die Schauspieler sich und den Abend gerade noch durch suggestive Blickkontakte mit dem Publikum und die kaleidoskopische Geräusch- und Musikkulisse vom Mischpult.

Daß Dood Paard auch anders können, zeigen sie in „medEia“. Man kann der antiken Tragödie kaum dreister begegnen, als sie in eine Abfolge englischer Popsong-Zitate zu transskribieren. Die Tragödie verhandelt und argumentiert zwischen Schicksalhaftigkeit und Lebenspraxis – die Lyrics der Popmusik schälen große Worte aus den Zusammenhängen und plakatieren damit diffuse Emotionen.

Doch während bei der Lektüre der Medea-Popversion (Oscar von Woensel) das ordinär Verkitschte von „Losing My Religion“ bis „I Will Survive“ den Kindsmörderinnenmythos zu verkleben droht, setzt ihn die Inszenierung in ein aufregendes Spannungsverhältnis zwischen den Zeiten: Hate and Anger, Grief and Love – yes! Banalität und Erhabenes kuscheln sich so eng aneinander, daß sie ununterscheidbar werden.

Die Schauspieler stehen als kommentierender Chor en face zum Publikum und rühren sich kaum, spielen aber zugleich Repliken Medeas und Iasons mit Distanz und leiser Ironie an, um sogleich wieder aus den Rollen zu fallen. Wo sonst der Mythos leicht zum trüben Bildungsexerzitium gerinnt, spendet Pop als Sprachrohr kollektiver Gefühlshaushalte plötzlich ein warm vertrautes Pathos. Eva Behrend

Stan, „point blank“, 17. bis 20. Juni, 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstr. 18