Wo Narva war, sollen wieder Birnen glühen

Auf einem 46.000 Quadratmeter großen ehemaligen Industriestandort in Berlin Friedrichshain entsteht eine „Stadt in der Stadt“ für die „neuen Kreativen“ und 5.000 Beschäftigte. Doch ob tatsächlich eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Kultur entsteht, ist fraglich  ■   Von Uwe Rada

Im Osten war er ein Wahrzeichen. Bei Einbruch der Dunkelheit gingen im Narva-Turm an der Warschauer Straße die Lichter an und kündeten vom Erfolg der DDR-Glühlampenproduktion. Über 5.000 Menschen arbeiteten rund um die Uhr im 1909 erbauten, späteren Osram-Werk und sorgten dafür, daß die Friedrichshainer Narva-Birnen in 50 Länder exportiert wurden. Bis die Wende kam und mit ihr der Immobilienmarkt. Das Narva-Gelände wurde verkauft, die Produktion eingestellt. Bald freilich soll am – nun sechs Stockwerke höheren – Turm das Licht wieder angehen. Statt Glühlampen werden dann Designerleuchten produziert. So jedenfalls wünscht es sich die HVB-Projektgruppe, die zusammen mit dem Heidelberger Baulöwen Roland Ernst das alte Narva-Gelände zur „Oberbaum-City“ umbaut.

„Oberbaum-City“, das soll in den Ohren der Berliner vor allem nach einem Standort für die „neuen Kreativen“ klingen. Mit der Ansiedlung des Internationalen Designzentrums (IDZ) ist den Developern auch ein Schachzug gelungen, der andere Designer und Modemacher nach sich ziehen soll. Doch ob aus dem ehemaligen Industriestandort tatsächlich einmal eine neue City mit der typischen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Kultur entsteht, ist fraglich. Einmal wegen des ohnehin schon überdimensionierten Flächenangebots in der Hauptstadt, zum anderen wegen der städtebaulichen Insellage, durch die die an der Grenze zu Kreuzberg gelegene „Oberbaum-City“ zu einer abgeschotteten „Stadt in der Stadt“ zu werden droht.

Noch drehen sich die Baukräne am Gebäudekomplex „Haus 3“. Hier, im Kernbereich der ehemaligen Glühlampenproduktion, konnte kein Stein mehr auf dem alten bleiben. Quecksilberablagerungen hatten den Abriß des von Theodor Kampffmeyer erbauten Gebäudes nötig gemacht, die Denkmalschützer haben seinen Wiederaufbau erzwungen. Einzige Ausnahme war die Aufstokkung des Turms, in den nun hochwertige Bürodienstleister einziehen sollen. Bereits fertiggestellt sind dagegen die denkmalgerecht sanierten Häuser 5, 4 und 1 auf dem 46.000 Quadratmeter großen Gelände. Neben dem IDZ sind auch zahlreiche Werbebüros bereits in die „City“ rund um die Rotherstraße gezogen. Doch von den 5.000 Beschäftigten, die hier einmal arbeiten sollen, ist das Projekt noch weit entfernt. Einer der Gründe, das weiß auch die HVB-Vertriebschefin Martina Schultes, ist die abgeschottete Lage der neuen „City“. Im Süden von der sechsspurigen Stralauer Allee und der Spree, im Westen von der U-Bahn-Linie 1 und im Norden von einer Bahntrasse begrenzt, ist das neue Quartier auf sich selbst zurückgeworfen. Das mag als Industriestandort ohne Belang gewesen zu sein, als Dienstleistungs- und Wohnungsstandort freilich ist das ein großer Nachteil.

Gleichwohl lassen sich die Entwickler der „Oberbaum-City“ auch bei der Anbindung zum östlich gelegenen Stralauer Kiez reichlich Zeit. Das gilt insbesondere für den „Haus 1“ genannten Block zwischen der Ehrenberg- und Lehmbruckstraße. Über 330 Wohnungen sollen auf diesem noch als Rasen- und Parkfläche genutzten Gelände entstehen und so das städtebauliche Bindeglied zwischen der gewerblichen Nutzung rund um den Narva-Turm und das gründerzeitliche Wohngebiet im Kiez bilden. Wann mit dem Bau der Wohnungen begonnen wird, steht freilich in den Sternen, meint HVB-Mitarbeiterin Schultes. Da ist nicht vor drei Jahren damit zu rechnen.

Von einer „City“ kann bis dahin deshalb keine Rede sein, obwohl mit dem östlich der U-Bahn-Trasse neu gebauten Warschauer Platz ein Stadtraum geschaffen wurde, der mit seiner platanenbestandenen Mittelinsel in den Neubaugebieten der Stadt seinesgleichen sucht. Vor allem der deutliche Bruch zwischen den neuen Flächen für die „Kreativen“ und dem Stralauer Kiez verleiht der Oberbaum-City einen fast abwehrenden, autistischen Charakter.

In der Tat: Für die an den Prenzlauer Berg oder den Hackeschen Markt gewohnten „Kreativen“ bietet der Stralauer Kiez wenig Attraktives. „Friedrichshain steht, was Arbeitslosigkeit und Armut betrifft, an vorletzter Stelle der Berliner Bezirke, und der Stralauer Kiez ist das bezirkliche Schlußlicht“, räumt auch der Friedrichshainer Sozialstadtrat Lorenz Postler (SPD) ein. Besserung ist indes nicht in Sicht. Die es sich leisten konnten – immerhin etwa 1.000 Bewohner –, sind in den vergangenen sechs Jahren weggezogen. Zurück blieben 5.700 Bewohner, die für die ambitionierte „Oberbaum-City“ nicht gerade ein Aushängeschild sind, obwohl viele von ihnen, wie auch die Eckkneipe „Zur Glühbirne“ zeigt, noch bei Narva arbeiteten. Doch mit Narva haben die Projektentwickler ohnehin nichts gemein außer dem Standort. Dafür sorgte schon die Treuhand, unter deren Regie die Produktion abgewickelt wurde, obwohl die neue Energiesparlampe der Firma auch im Westen Markterfolge erzielen konnte.

Gleichwohl will sich auch die HVB nicht völlig vom Kiez abschotten. Anderthalb Stellen im Kiezladen „Rudi“ am Rudolfplatz sponsern die Projektentwickler, und auch die Hauseigentümer des Quartiers haben ihren Teil beigetragen und zehn Rotdornbäume entlang der Rotherstraße gespendet. Ob das der „City“ freilich zum Erfolg gereicht, bleibt dahingestellt. Schließlich wurde vor kurzem nicht nur am Narva-Turm Richtfest gefeiert. Auch in den an der Spree gelegenen Gebäuden des Spree-Speichers hat der Investor Botag mit den Bauarbeiten begonnen. In der nur wenig von der Oberbaumbrücke entfernten Kreuzberger Cuvrystraße will die Botag ein Einkaufszentrum bauen und damit nicht nur der Oberbaum-City Konkurrenz machen, sondern auch dem Park-Center im nahe gelegenen Treptow.