Ins Dunkel gestürzt in einer Nacht

■ Im Essener Hooligan-Prozeß sagt die Ehefrau des mißhandelten französischen Polizisten Daniel Nivel aus. Erstmals geben die Angeklagten ihre unbeteilige Haltung auf

Essen (taz) – Daß sie ein Menschenleben zerstört haben, konnte man dreien der vier mutmaßlichen Täter im sogenannten Hooliganprozeß am Essener Landgericht in den letzten Verhandlungstagen kaum noch anmerken. Da grinsten Frank Renger und Tobias Reifschläger sich immer öfter zu – und vor allem der noch ungeständige Christopher Rauch schnitt stets wohlgelaunt Grimassen. Einzig der Gelsenkirchener André Zawacki starrte stumm und zerknirscht vor sich hin. Mit gutem Grund: Bislang haben die Zeugen ihn am schwersten belastet.

Mit dem gestrigen Verhandlungstag aber war Schluß mit der Laxheit der Hools. Das Opfer, der französische Gendarm Daniel Nivel, war persönlich erschienen – in Begleitung von Ehefrau Laurette und Sohn Nicolas. Bleich saß er ihnen gegenüber, der mißhandelte Polizist, und wagte kaum einen Blick in Richtung seiner mutmaßlichen Peiniger. Von denen hatten zumindest Renger und Reifschläger plötzlich zu ihren Leichenbittermienen wie zu Prozeßbeginn zurückgefunden. „Herr Nivel, ich habe Sie getreten, ich schäme mich sehr dafür“, wisperte Renger, und Reifschläger deklamierte kleinlaut: „Ich weiß, daß diese Tat mit nichts zu entschuldigen ist.“

Die Geschädigten blieben jedoch sichtlich unbeeindruckt. „Ich habe die Bitte um Vergebung gehört“, erklärte Frau Nivel später im Blitzlichtgewitter der Fotografen, „aber ich kann den Tätern nicht verzeihen. Das Unglück, das sie über unsere Familie gebracht haben, ist zu groß.“ Dieses Unglück ließ sich der Vorsitzende Richter Rudolf Esders geduldig schildern.

Nüchtern bilanzierte die Polizistengattin die irreparablen Gesundheitschäden ihres Mannes: Folgen der Mißhandlungen, die deutsche Hooligans ihm in Lens im Juni vorigen Jahres nach dem WM-Spiel Deutschland – Jugosla- wien zugefügt hatten. „Seit diesem Tag ist sein Leben nicht mehr sein Leben“, resümierte die patent wirkende Frau. „Man hat ihm die Freiheit genommen, sich auszudrücken, seine Autonomie. Er könnte nicht mehr ohne die Hilfe anderer leben.“ Vor diesem 21. Juni 1998, so erzählt Frau Nivel, sei ihr Mann sehr aktiv gewesen. Er habe seinen Beruf geliebt. Nun könne er nicht mehr richtig sprechen, müsse jede Körperfunktion neu erlernen und sei auf dem rechten Auge erblindet.

„Kann er selbst essen?“, fragt Esders. „Jetzt kann er es wieder“, antwortet sie. „Haben Sie den Eindruck, daß er komplizierte Sätze versteht, zum Beispiel Witze?“ will der Richter wissen. „Nicht immer“, antwortet sie und schüttelt den Kopf, „nein, man muß sehr einfach mit ihm sprechen.“ Auch der Tastsinn und das Gehör von Nivel haben gelitten. Offiziell ist er zwar weiter Gendarm und erhält die alten Bezüge bis zur Rente in zehn Jahren, doch statt zum Dienst führt nun sein morgendlicher Weg in die benachbarte Reha-Klinik. „Wir erwarten eine hohe Strafe“, meinte Frau Nivel. Gisa Funck