Der Mann, die Frau – und der Herr Otto

Zwei geritzte Halbkreise, wo eine Frau sonst ihre Brust zu tragen pflegt, ein länglicher Ritzer, wo ein Mann gern seinen Waschbrettbauch verortet wüßte – nicht viel mehr benötigt Waldemar Otto, um vor unseren Augen auf einer kleinen gewellten Bronzetafel ein nacktes Paar im anbrechenden Herbst des Lebens auftauchen zu lassen.

Auf der Grenze zwischen dem „Nichts“ und dem „schon etwas“ hat sich der in Worpswede lebende Bildhauer einen Großteil der 90er Jahre bewegt, dabei Torso um Torso modelliert und sich offenbar selbst die kleinste Handbewegung gut überlegt.

Hier eine kleine Ausbeulung, dort eine winzige Mulde, da allenfalls eine dezente Falte – keine der 72 im Focke-Museum zu sehenden Bronzefiguren trägt Spuren heftiger Schöpfertätigkeit an sich. Statt dessen dominiert allerorten die zarte Linienführung. Selbst jene mächtigen, voluminösen und auf Sockel thronenden Körper, die der frühere Professor der Hochschule für Künste ausschließlich am männlichen Modell entwickelt hat, wirken gerade aufgrund ihrer äußerst reduziert modellierten Körpermerkmale zurückhaltend, dezent.

Aber der Mann ist eh – mal mehr, mal weniger – ein unförmiger Sack, was seine Konturen betrifft. So manche Frau aber ist nur schwer in eine zurückgenommene Formgebung zu pressen. Otto müht sich trotzdem. Und dank des sehr feine Modellierungen erlaubenden Wachsausschmelzverfahrens, mit dem er seine Torsi gewonnen hat, gelingt es Otto auch dort, üppige Busen ihre Üppigkeit und breiten Hüften ihre Breite zu nehmen. Gelänge es Otto, sein meisterliches Geschick in eine Brigitte-Sommerdiät zu übersetzen, die Welt läge ihm zweifellos zu Füßen.

So ganz scheint Waldemar Otto der Überzeugungskraft seines reduktionistischen Gestus am Ende aber doch nicht zu trauen. Beinahe so als befürchte er bei seinen zumeist kopflosen Torsi den Verlust ihrer Geschlechtlichkeit, hat er im Schambereich herumgekratzt, bis jedeR weiß, ob Männlein oder Weiblein vor ihm steht. Ein Stilbruch. Der Betrachtende erkennt es auch so.

Das aber ist das einzige, was den interessierten Blick trübt. Ansonsten ist die Ausstellung schlichtweg wundervoll – und leider nur noch wenige Tage zu sehen. zott

Die Ausstellung mit Waldemar Ottos Arbeiten ist noch bis Sonntag im Focke-Museum zu sehen. Öffnungszeiten: Täglich von 10-18 Uhr. Infos unter Tel.: 361 3575.

Fotos: Nikolai Wolff