Der stets beobachtete Beobachter

Der Megamäzen und Megaspekulant George Soros hat sich in das russische Riesenreich verbissen wie ein Dobermann in seine Schmusedecke. In Moskau stellte er sein Projekt Puschkin vor: Neue Bücher und Internetanschluß für 35.000 russische Bibliotheken  ■   Von Barbara Kerneck

Bei dreißig Grad im Schatten scheinen Schweiß wie angekündigte Gelder um die Wette zu fließen. Die Scheinwerfer der Fernsehleute machen den Effekt der Ventilatoren zunichte, die im historischen Ovalen Saal der Moskauer Bibliothek für Ausländische Literatur aufgestellt sind. Die Kameras sind auf eine Empore gerichtet, wo vor einem himmelblauen Plakat mit der Riesenaufschrift „Megaprojekt Puschkin“ der Megaspekulant und Megamäzen George Soros (69) sitzt – kühl und als einziger der Herren in Hemdsärmeln. Neben ihm thront das greise Akademiemitglied Dmitri Lichatschow als noch lebendes Monument der nationalen Kultur, im Saal Minister, Botschafter und die Chefredakteure der wichtigsten Literaturzeitschriften des Landes.

Wir haben Montag, den 7. Juni, und in den nächsten vier Tagen wird der aus einer jüdischen Budapester Familie stammende US-Bürger Soros in Moskau ein Megaprogramm absolvieren.

Jeder der folgenden Tage soll dem Zweck dienen, die zahllosen Aktivitäten der russischen Filiale seiner in vierzig Ländern wohltätigen „Open Society“-Stiftung einer Revision zu unterziehen. Dabei kommt er nicht umhin, sich endlich – vorsichtig – auch zur russischen Politik zu äußern. Und damit springt Soros über seinen Schatten. Anfang der 90er Jahre hatte er die westlichen Regierungen zu einem „Marshallplan für Rußland“ zu überreden versucht – erfolglos. Letztes Jahr, Anfang August, hatte er die Rubelabwertung für unabwendbar erklärt – und böse Zungen warfen ihm dann später vor, sie durch diese Voraussage mit provoziert zu haben.

Der Finanzier, der 1992 weltweit berüchtigt wurde, weil er bei einer spekulativen Attacke auf das britische Pfund Milliarden scheffelte, ist hier in Rußland selbst zum Opfer der Finanzkrise geworden. Sein spät und zögernd gefaßter Entschluß, in russische Unternehmen zu investieren, soll ihn im letzten Herbst zwei Milliarden Dollar gekostet haben. Weil er sich zu alledem eigentlich nicht mehr äußern mag, hatte Soros in den letzten anderthalb Jahren auf einen Besuch in der Russischen Föderation verzichtet.

Die Kosten für Förderungsmaßnahmen und Projekte, die dieser eine Mann in den letzten zehn Jahren in Rußland anschob, belaufen sich auf 500 Millionen Dollar und lassen sich sonst nur noch mit zwischenstaatlicher Hilfe vergleichen. Der Name seiner „Open Society“-Stiftung, nach dem Bestseller von George Soros' Mentor, dem Philosophen Karl Popper, gewählt, bestimmt das Programm: Gefördert werden Initiativen und Vereinigungen, die der Demokratisierung dienen – und dazu gehört die Wiederbelebung der Kultur.

In dem stickigen Saal wird an jenem Montag, pünktlich zum 200. Geburtstag des größten russischen Klassikers, das „Megaprojekt Puschkin“ vorgestellt, für das in den nächsten drei Jahren 100 Millionen Dollar ausgegeben werden sollen. Ab Juli erhalten unter anderem 35.000 Provinzbibliotheken in Rußland die Möglichkeit, Millionen Bände russischsprachiger Literatur zu erwerben. Gleichzeitig soll ihr Bestellsystem computerisiert und ans Internet angeschlossen werden. Diese Vernetzung ergänzt ein anderes Hauptprojekt der „Open Society“, bei dem bereits 29 russische Universitäten und viele weiterführende Schulen vernetzt wurden.

Während handverlesene Begünstigte und Kuratoren des „Megaprojektes Puschkin“ dem Philanthropen huldigen, transpiriert der Saal gesittet. Niemand drängelt. Die sitzenden Herren bieten den stehenden Damen ihre Plätze an. Die russischgrünen Schabrakken vor den mindestens sieben Meter hohen Fenstern, die ebenso hohen verglasten Bücherschränke mit alten Folianten im Goldschnitt – alles suggeriert ein Rußland, das nicht mehr existiert. Zwei Tage später, bei Soros Treffen mit den Ökonomen, wird der Direktor einer Moskauer Wirtschaftshochschule benennen, was hier vorgeht: „Die Peripherie praktiziert eine Mimikry gegenüber jenen Zentren, von denen die Finanzströme kommen.“

Der Mäzen begreift, was läuft. „Ich glaube, die Leute hier mißverstehen mich“, sagte er bei seinem letzten Besuch vor zwei Jahren: „Sie erblicken in mir entweder den gütigen Gutsbesitzer oder den ausländischen Teufel aus dem Roman 'Der Meister und Margarita‘ “. Sommersprossig hinter seiner fragilen Hornbrille lauscht er ostentativ in sich hinein. Plötzlich aber – mitten in der Rednerliste – steht Soros auf und strahlt mit der Sonne draußen um die Wette: „Ich ergreife die Gelegenheit“, sagt er, „Ihnen ein weiteres Mal meine philanthropische Natur zu demonstrieren. Ich vollbringe hiermit meine philanthropische Tat des Tages und erkläre diese Versammlung für beendet.“ Dabei spricht er nicht laut oder provozierend, sondern leise, mit Gesten, die so behutsam sind, als könne er durch eine unbedachte Handbewegung seine Dialogpartner verletzen. „Soros ist ein Seelchen“, sagt auf dem anschließenden Empfang ein arbeitsloser Journalist, der jetzt fürs armenische Fernsehen Geräte schleppt: „Alle wahrhaft großen Menschen sind im Umgang mit anderen schlicht. Sehen Sie sich dagegen unsere ,Großen‘ an, die Minister, die Expolitbüromitglieder! Ihren Dünkel! Schweinehunde sind sie alle miteinander! Soros tut mir richtig leid. Auch die Gelder dieses Projektes werden sie verprassen. Wovon sonst sollten sie nach Karlsbad zur Kur fahren? Und wer überhaupt hat ihm weisgemacht, daß das Land jetzt Bücher braucht? Unsere Bibliotheken stehen leer. Die Leute haben ganz andere Sorgen. Die Vernetzung des Landes mit dem Internet, ja, das ist etwas, was unserer Zukunft dient!“ „Ich erteile Rußland keine Ratschläge mehr“, sagt Soros – immer noch hemdsärmelig – zur Halbzeit seines Besuches in der Moskauer Hochschule für Wirtschaft. Diesmal soll sein Buch „Die Krise des Globalen Kapitalismus“ von führenden russischen Ökonomen und Wirtschaftspolitikern diskutiert werden. Zu einer richtigen Diskussion kommt es aber nicht. Die meisten Redner, darunter auch Ex-Premier Jegor Gajdar, beschränken sich darauf, dem Buch gute Zensuren zu erteilen. Soros meint, daß es mit dem Kapitalismus so nicht weitergehen könne, die Eigendynamik der Krisen auf den Finanzmärkten führt ihm zu weit, er kann ein System nicht mehr billigen, das einen immer größeren Teil der Weltbevölkerung zur Arbeitslosigkeit verurteilt.

Als Gegegenmittel fordert er neue, regulierende übernationale Institutionen. Obwohl er Rußland wegen der dort herrschenden Rechtsunsicherheit heute als einen Platz betrachtet, der für Investoren auf lange Zeit hinaus nicht mehr interessant sein wird, befürwortet er auch die Gründung einer internationalen Anstalt für Kreditversicherungen, die besonders russischen Projekten zugute komme. Neue Institutionen fordert der Philanthrop auch für die internationale Politik: „Der Konflikt in Bosnien hatte gezeigt, daß die UNO nicht funktioniert. Aber der Krieg im Kosovo hat danach gezeigt, daß man ohne sie auch nicht kann.“ Gleich im Anschluß an seinen Rußlandbesuch will Soros auf einem Symposium in Wien prüfen, was sich da machen läßt. Denn sicher ist er sich, daß Einmischung supranationaler Instanzen an vielen Orten der Welt not tut: „Repressive Systeme lassen sich leichter von außen her verhindern.“ Diese Einmischungsdoktrin läßt die KPR-Ökonomen im Saal säuerlich die Münder verziehen.

Mit einer Pressekonferenz bei der Agentur Interfax kommt Soros' Rußlandbesuch am vierten Tag zu seinem Ende. Trotz weiter steigender Temperaturen zeigt sich der Sponsor zum Abschied in einer leichten, dunkelblauen Anzugjacke. „Eines tut mir leid“, sagt er da unvermittelt, „daß ich niemals mehr im Leben ein unbeobachteter Beobachter sein kann.“ Mit leiser Stimme und behutsamen Handbewegungen erläutert er seine Hilfsprojekte („nur die wichtigsten“) für das Land, das seiner Meinung nach in den letzten Jahren den Weg vom räuberischen Kapitalismus zur Oligarchie zurückgelegt hat. Die herrschende Schicht investiere nichts in jene Bereiche, die keinen sofortigen Gewinn abwerfen, nicht ins Schulsystem, in die Kultur oder ins Gesundheitswesen. Soros, der in den letzten Jahren Hunderte von Dollarmillionen in die russischen Naturwissenschaften und ins Bildungssystem gesteckt hat, machte die Weiterführung dieser Programme davon abhängig, daß sich der Staat paritätisch daran beteilige. Aber die versprochenen Gelder blieben regelmäßig aus. Nun hat der Mäzen Tausende von Stipendien für Studenten und Wissenschaftler gestrichen.

Die Vorausschau, die ihm bei seinen Spekulationen zustatten kam, veranlaßt den Sponsor nun offenbar, sich rechtzeitig auf den Zerfall des russischen Zentralstaates einzustellen. Alle neuen Programme zielen auf die Regionen als Partner. Um ein neues Pilotprojekt zur Förderung weiterführender Schulen, das – ebenfalls auf der Basis von Co-Finanzierung – vorerst in fünf Gouvernements gestartet werden soll, haben sich bereits fünfundzwanzig weitere beworben. In der Stadt Samara will der Gouverneur sogar das um 300 Prozent überbelegte Untersuchungsgefängnis leeren – einen Hauptbrutplatz für antibiotikaresistente Tuberkelbazillen – um Soros' Programm zum Kampf gegen die Tuberkulose zu unterstützen. Daß die Beschenkten wenigstens einen kleinen Teil der für die Projekte benötigten Mittel selbst aufbringen müssen, ist Grundprinzip der „Open Society“. Dadurch soll ihr Abgleiten in eine parasitäre Mentalität verhindert werden.

100 Millionen Dollar gibt George Soros allein in diesem Jahr für Wohltätigkeit in Rußland aus. „Ich sah mich gezwungen, meine Unterstützung über meine finanzielle Kapazität hinaus auszuweiten“, behauptet er. „Doch dies bedeutet, daß ich den Umfang meiner finanziellen Unterstützung in Zukunft wieder zurückschrauben muß.“

Mit Sicherheit wird Soros auch künftig auf Gründe stoßen, um Gelder aus einzelnen Projekten zurückzuziehen. Aber eine Kürzung seiner Rußlandhilfe insgesamt nimmt ihm niemand mehr ab. Nicht als Spekulant, als Philanthrop hat er sich in das Riesenreich verbissen wie ein Dobermann in seine Schmusedecke. Über sein Rußland-Engagement hat er einmal gesagt: „Ich glaube, daß es ein paar Schlachten gibt, die man sogar dann schlagen muß, wenn die eigene Niederlage schon von vornherein feststeht.“

„Ich sah mich gezwungen, meine Unterstützung über meine finanzielle Kapazität hinaus auszuweiten“