■ Guido Westerwelle zum Schröder/Blair-Modernisierungspapier
: Verregelt und verriestert

Als Gerhard Schröder in der vergangenen Woche rechtzeitig, aber wählerunwirksam Tony Blair zu seinem programmatischen Verbündeten machte, hatte ich mein erstes Déjà-vu-Erlebnis in der Politik. Was beide sozialdemokratischen Regierungschefs aufgeschrieben hatten, klang so vertraut in liberalen Ohren. Nur zu oft hatte die FDP Ähnliches oder sogar Gleiches aufgeschrieben und war dafür von Sozialdemokraten als „Neoliberale“, „Turbokapitalisten“ oder „Polit-Yuppies“ beschimpft worden.

Schröder und Blair schreiben: „Man darf den Sozialstaat nicht begreifen als Hängematte, in der man sich ausruht, sondern muß ihn als Trampolin sehen, von dem man herausgeschleudert werden muß in den ersten Arbeitsmarkt.“ Beide plädieren für radikales Sparen, für Einschränkungen der Staatstätigkeit, für Kürzungen im Sozialbereich und eine Sanierung der sozialen Sicherungssysteme. Auch die angebotsorientierte Politik mit der Kernaufgabe des Abbaus der Arbeitslosigkeit durch eine wirkliche Steuersenkungsreform findet sich dort wieder. Und mehr noch: Die Kräfte des Marktes seien in der Vergangenheit unterschätzt und die Möglichkeiten des Staates überschätzt worden. Das ist klug, zeitgemäß – und vor allem liberal. Wenn Gerhard Schröder diese Politik ernsthaft in Deutschland durchsetzen will, dann hat er die Unterstützung der FDP. Denn von den Grünen und den Traditionalisten in den eigenen Reihen kann er keinen Beistand erwarten.

Die Globalisierung läßt die deutsche Krankheit offensichtlich werden. Wir haben in Deutschland zuwenig soziale Marktwirtschaft und zuviel bürokratische Staatswirtschaft. Wir werden lernen müssen – hoffentlich freiwillig, andernfalls wegen des internationalen Wettbewerbs gezwungenermaßen –, unsere Gesellschaft mit weniger Staat zu organisieren. Marktwirtschaftliche Erneuerung ist nicht unsozial, ganz im Gegenteil: Nur wenn wir die ökonomischen Fundamente unseres Gemeinwesens neu gründen, werden wir in der Lage sein, die sozialen und ökologischen Standards in Deutschland zu halten oder auszubauen. Dazu gehört, daß wir die Blairsche Erkenntnis in Deutschland endlich akzeptieren. Aus dem Wohlfahrtsstaat, der an alle ein wenig verteilt, muß wieder ein Sozialstaat werden, der seine Hilfe auf die wirklich Hilfsbedürftigen konzentriert.

Schröders Worte hör' ich wohl. Allein, mir fehlt der Glaube. Während Großbritannien einen der niedrigsten Körperschaftssteuersätze hat, verhinderte Schröder in Deutschland zunächst in der vergangenen Legislaturperiode die Steuersenkungsreform und verschiebt jetzt die Änderungen bei der Unternehmenssteuer auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. In Deutschland kämpfen Sozialdemokraten für die 30-Stunden-Woche. Alles wird von Rot-Grün verregelt und verriestert: von den 630-DM-Jobs, über die Startchancen für Existenzgründer bis hin zur sogenannten ökologischen Steuerreform, die weder öko- noch logisch ist, sondern einfach nur teuer. Lafontaine ist von der politischen Bühne verschwunden. Aber seine Politik ist geblieben. All das belegt: Gerhard Schröder redet, Tony Blair handelt. Was Blair sagt, das setzt sich durch. Was Schröder sagt, das wird so lange „nachgebessert“, bis das genaue Gegenteil herauskommt. Was fehlt, sind Taten. Als die Grünen anläßlich ihres Kosovo-Beschlusses auf ihrem Bielefelder Parteitag in der Realität angekommen waren, sprach der Kanzler, dafür könne es wohl kaum eine Belohnung geben. Nun ist der Bundeskanzler selbst, jedenfalls theoretisch auf dem Papier, in der globalisierten Realität angekommen. Jetzt muß auch seine praktische Politik an den eigenen theoretischen Maßstäben gemessen werden.

Guido Westerwelle, Generalsekretär der FDP

Die Debatte zum Schröder/Blair-Papier wird in den nächsten Tagen auf dieser Seite fortgesetzt