Zwischen den Rillen
: Surfin USA

■ London, Hamburg, Oklahoma City: Amerikanische Musik allüberall

Als die Violent Femmes einst die unscheinbare Zeile „I like american music, don't you like american music, baby“ sangen, erschien dies als Fanfare für eine amerikanische Musik, die, von den Folk- und Blues-Roots aufwärts, ihre lokale Färbung global zu Markte trug – und, neben hybriden Synthesen, paradoxerweise oft gerade dadurch große, umwerfende Kunst hervorbrachte.

Heute versuchen Bands, fasziniert vom Amerikanischen, an so unterschiedlichen Orten wie London, Oklahoma City oder Hamburg eine Musik zu machen, die nur noch aus den großen, goldenen Momenten dieser Kategorie bestehen möge. Das verbindet, trotz unterschiedlichster musikalischer Ausprägung, die Flaming Stars (die frühen Sechziger), die Flaming Lips (die späten Sechziger) und Veranda Music (weltweit vagabundierende Folkismen).

Die frühen Sechziger waren die Zeit der breiten Heckflossen, schmalen Schlipse und oberirdischen Atombombentests. Eine, von heute betrachtet, faszinierend befremdliche Ära ungebrochenen Fortschrittsglaubens, dessen Unschuld ausklammerte, daß all dies Teil einer Gesellschaft war, die seit 1964 Vietnam bombardierte. In den Trash- und Las-Vegas-begeisterten Spätachtzigern wurde dieser Zeitgeist eigentlich zu Tode revivelt, brachte einen Retro-Sound hervor, der vordergründig auch bei den Flaming Stars, der Band des ehemaligen Gallon-Drunk-Schlagzeugers Max Décharné, anklingt. Aber wie John Peel (großer Flaming-Stars-Fan) bei anderer Gelegenheit so schön stumpf feststellte: „a good record is a good record“: Auch wenn „Pathway“ gewiß kein Erdbeben formeller Innovation darstellt, so ist diese Platte verdammt noch mal nicht weniger als eine Sammlung all jener Songs, die der liebe Gott den Cramps dann doch nicht mitgeteilt hatte. „The Last Picture Show“ z. B., eine Hymne an den gleichnamigen Film von 1973, die Mutter aller Retrophänomene. Oder der dezente Surfgitarren- und Orgeleinsatz auf „Lit Up Like A Christmas Tree“, einem Song, der es fertigbringt, neoexistentialistische Melancholie zu atmen und gleichzeitig ein kraftstrotzender Gassenhauer zu sein.

Und dann kam das große Gewitter, die Haare wurden länger, und die Sixties wollten einfach nicht mehr die alten bleiben. Die Flaming Lips gründeten sich 1983 und blieben lange ein wild zusammengewürfelter Haufen, vereint im Entschluß, an die Heldenphase der psychedelischen Sechziger anzuknüpfen – koste es, was es wolle. So gingen Jahre ins Land und die Zeit an den Flaming Lips vorbei. Es gibt diese alte Geschichte, als die langmähnigen LSD-Prediger vom Türsteher eines Amsterdamer Clubs abgewiesen wurden. Drinnen lief nicht der von ihnen vermutete Acid Rock, sondern Acid House.

Aber die US-Kulturindustrie weiß, daß man den Besten unter den Wirrköpfen manchmal nur genügend Zeit geben muß, auf daß sich in deren Spinnerkosmen neue Stringenzen bilden. Als 1996 der für Distortion zuständige Gitarrist religiös wurde und in einem Kloster abtauchte, mußte das psychedelische Element mit anderen Mitteln reproduziert werden. Zum Glück. Zunächst aber hatte Bandchef Wayne Coyne sich etwas Tolles ausgedacht: In 40 geparkten Autos sollten gleichzeitig 40 unterschiedliche Kassetten mit seinen Kompositionen laufen. Die Vier-CD-Box „Zaireeka“ von 1997 setzte diese Idee um und sollte, sofern vorhanden, daheim in vier CD-Playern simultan abgespielt werden.

Auf „The Soft Bulletin“ bündeln sich Coynes zerfließende Visionen wieder in der Form des leckeren, kleinen Popsongs. Statt mit der Noisegitarre zu gniedeln, sollten Streicher, Klavier und Waldhörner das acidmäßige Ende vernunftgeleiteter Denkprozesse erklingen lassen. Eine eher an finsterste Siebziger erinnernde Idee, die aber die Flaming Lips in Höchstform versetzen sollte: Das Ergebnis ist eine großartige Schnittmenge aus campy Easy-Listening-Schmelz und sperrigem Pop-Pathos, die nicht zu Unrecht mit den Beach Boys der späten Sechziger verglichen wurde – auch wenn die Lips vielleicht doch nicht in deren Liga spielen. Aber wer tut das schon.

Hamburg, Veranda Music. Mit der ersten LP der Band Fink entbrannte schon einmal an einer Veröffentlichung des XXS-Labels die Diskussion, ob man hierzulande mit Country und Folkelementen wirklich kreativ hantieren kann. Der Umgangmit diesen Stilen, so die These, wird von hiesigen Musikern eher als Verfehlung erlebt denn als künstlerische Möglichkeit. Der kreative Flow erstarrt, und der Sound bleibt epigonal.

In dieser Diskussion hielt das Countrykollektiv FSK mit dem Argument dagegen, daß nicht wenige Musik in fremder Umgebung länger überlebt und sich fruchtbarer vermischt als an ihrem Ursprungsort. Veranda Music wären in diesem Sinne amerikanischer als manche Amerikaner. Und trotzdem: „Here's To Them All“ bringt es fertig, durch die totale Abwesenheit von Abgegessenem zu bestechen, und mischt die vielen Einflüsse (Folk, Lou Reed, Neil-Young-Gejaule, Bossa-Gitarre) auf so hohem Niveau, als könnte man einem der großen, durchgeknallten US-Egomanen beim Würfeln zuschauen: American Music in ihren avanciertesten Momenten. Nils Michaelis

Flaming Stars: „Pathway“. Vinyl Japan-Import Flaming Lips: „The Soft Bulletin“. WEA Veranda Music: „Here's To Them All“. XXS-Records, Indigo