Letzter Wille ohne Tabus

Im runden Sarg, in der Papp-Urne oder im Taucheranzug ins Grab: Der Trend bei Bestattungen geht zur Individualisierung  ■ Von Andreas Schirmer

Farbige Designer-Särge, rund und nicht mehr rechteckig, Papp-Urnen und Traueranzeigen im Internet: Bei Beerdigungen fallen immer mehr Tabus. Statt im Leichenhemd wollen Menschen in ihrer Lieblingskleidung, im Taucheranzug oder mit ihrem Dackel begraben werden. Und die Musik für Trauerfeiern stammt immer häufiger aus der Hitparaden. Auskunft über neue Trends und Tendenzen in diesem einst konservativen Gewerbe will am Sonnabend und Sonntag die Fachmesse für Bestattungsbedarf, „Eternity '99“ (Ewigkeit), in Hamburg geben.

„Der Trend bei Beerdigungen geht zur Individualisierung“, sagt Rolf Peter Lange, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Bestattungsunternehmen. „Die Enttabuisierung schreitet voran.“ Dies sei auch eine Folge des Welttourismus: Menschen lernten auf Reisen, wie die Menschen in anderen Ländern mit Tod, Trauer und Sterben umgehen. „Die Nachfrage nach anderen Bestattungsriten hat zugenommen“, berichtet Lange.

„Die Wünsche der Menschen werden immer außergewöhnlicher und reichen bis zur extravaganten Weltraumbestattung. Darauf müssen wir uns bei aller Bodenständigkeit einstellen“, ergänzt Wilfried Leiweke, Vorsitzender des Bundes freier Bestatter. Eingestellt haben sich darauf schon zahlreiche Künstler, die Särge bemalen oder moderne Skulpturen schaffen und eine neue Trauerkultur mitgestalten wollen. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Branche aufzumischen, sie vom beige-braunen Image zu erlösen“, so Gina Preedy, die mit anderen Künstlern bei der Messe ihre Arbeiten präsentiert.

Noch ist nicht alles möglich, was sich Menschen zum Abschied wünschen. Man kann eine Urne zwar in den Schweizer Bergen oder auf Capri beisetzen lassen, sie aber nicht mit nach Hause nehmen. „Im Zuge der Europäisierung wird der in Deutschland vorherrschende Beisetzungszwang auf Friedhöfen in zwei, drei Jahren fallen“, glaubt Lange.

Überhaupt müßten sich die Kommunen, in deren Besitz sich Friedhöfe und die rund 120 Krematorien befinden, angesichts der rund neun Millionen Ausländer in Zukunft neu orientieren. Immer mehr Ausländer möchten ihre Angehörigen nach ihren Sitten und Riten beerdigen. Aber nur an wenigen Orten wie in Hamburg, wo Muslime per Ausnahmeregelung nur im Leichentuch und ohne Sarg begraben werden dürfen, ist dies tatsächlich möglich. „Wenn sich die Kommunen weiter so schwer tun, nur ein Stück Feld für andere Religionen zur Verfügung zu stellen, wird es bald private Friedhöfe wie in den USA geben“, glaubt Wolfgang Averbeck, Vorsitzender des Verbandes Dienstleistender Thanatologen (Sterbeforscher, Anm. d. Red.). Private Krematorien seien schon in Bau.

Der Konkurrenzdruck in der Branche ist nicht nur durch Sarg- Discounter und Billig-Institute größer geworden. Auch die Zahl der Beerdigungen hat in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Lebenserwartung von einst über eine Million auf 860.000 Sterbefälle (Bilanz 1997) abgenommen. „Nach den neuesten demographischen Angaben soll die Zahl auf unter 800.000 sinken“, sagt Leiweke, „aber ab 2005 soll es wieder aufwärtsgehen.“