Rebellische Frauen

■ Das Kulturhaus Wabe zeigt vier Stummfilme und eine Garbo aus China

Wer mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Peking fährt, ist eigentlich schon erledigt, bevor er ankommt: Vierzehn Tage vergehen, die Waggons werden dreckiger, der Schlaf wird weniger, der Wodka immer mehr, und am Ende fühlt man sich wie ein ausgeräumter Zug auf dem Abstellgleis.

Heute und morgen haben die Berliner es leichter. Sie brauchen sich nur in die Straßenbahn zu setzen und ins Kulturhaus Wabe zu schaukeln. Dort werden im Rahmen des zweiten Internationalen Stummfilmfestivals Berlin vier chinesische Stummfilme aus den dreißiger und vierziger Jahren gezeigt. Veranstalter des Festivals ist „Shoulder Arms“, das „rollende“ Stummfilmunternehmen des Komponisten und Instrumentalisten Steven Garling. „Shoulder Arms“ hatte in Berlin bereits Charlie-Chaplin-Filme, englische und russische Stummfilme vorgeführt.

Die chinesischen Stummfilme, die zum ersten Mal auf einer Berliner Kinoleinwand zu sehen sind, werden im milchigen Licht des Vorführlämpchens zum Leben erweckt und führen den Zuschauer in eine lieblich-bittere, verhängnisvolle chinesische Vergangenheit zurück. Liebe, Leid, Verzweiflung und Armut sind die Hauptthemen des traditionellen chinesischen Stummfilmkinos, das die Kunst mit der Wirklichkeit verbindet.

Im Mittelpunkt der realistischen und von den Spuren der Zeit gezeichneten Filme steht oftmals eine Frau, die, in feudale Zwänge hineingeboren, tragische Schicksalsschläge hinnehmen muß. In einem Land, in dem die Frau zuerst ihrem Vater, dann dem Ehemann und zuletzt dem Sohn zu gehorchen hatte, stellen diese Frauen Randfiguren dar, die sich gegen das vorherrschende System auflehnen.

In dem Film „Die Göttliche“ von 1934 wird die Geschichte einer Prostituierten erzählt, die mit ihrem heimlichen Verdienst sich und ihren Sohn zu erhalten versucht. Leider fällt das rebellische Thema einer für den Stummfilm untypischen klassischen Erzählweise zum Opfer. Die Filme verzichten auf die expressiven Ausdrucksformen eines deutschen oder russischen Stummfilms; die zu langen Einstellungen nehmen der Geschichte oft die Spannung. Dabei ist es doch gerade die schnittige Montage, die den schweigenden Film zu einer geschwätzigen, ergreifenden Kunstform macht!

Das chinesische Licht-Schatten-Spiel auf der Leinwand erweist sich also nicht gerade als filmisch interessant, sondern zeigt vielmehr, unterstützt durch klangvolle Töne zahlreicher Musiker (Steve Binetti, Steven Garling), eine für den deutschen Zuschauer vernebelte chinesische Geschichte Anfang des Jahrhunderts.

„Dian Ying“ – „Elektrische Schatten“ nennt Garling sein Filmfestival. Und wie ein Schatten bleibt am Ende das Dunkel und das Gesicht von Ruan Lingyü zurück, der chinesischen Greta Garbo, Asta Nielsen und Pola Negri in einem. Ihr, der rebellischen Frau in den Stummfilmen und dem Idol der chinesischen Intellektuellen, sind drei der vier Filme gewidmet.

Katja Hübner

Sa., 19 Uhr und 21.30 Uhr, So., 19 Uhr und 21 Uhr, Kulturhaus Wabe, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg