Der Anschluß ans Peloton

Der Absatz von Rennmaschinen hat sich verdoppelt – wo aber kann man sie fahren? Radsportvereine und Fahrradläden kümmern sich um Amateure  ■   Von Helmut Dachale

Rudolf Scharping versteht wahrscheinlich von Rennrädern mehr als von Panzern – immerhin gilt der Verteidigungsminister als Deutschlands prominentester Radsport-Amateur. Dabei hat er diesen Ruf hauptsächlich seinen Stürzen zu verdanken. Erst kürzlich auf Mallorca stieg er mal wieder über den Lenker ab: Unterarmbruch. Vor drei Jahren – im heimischen Jammertal – soll es ein Bremsfehler gewesen sein, der ihn aus einer Linkskurve trug. Im Gegensatz zu seinen Soldaten war er damals unbehelmt: Platzwunde am Hinterkopf, Gehirnerschütterung.

Doch selbst Scharpings Unfälle konnten die – wenn auch bescheidene – deutsche Renaissance des Rennrades nicht aufhalten. Seitdem Jan Ullrich und Erik Zabel die Pace machen, proben mehr Menschen denn je den runden Tritt. Der Anteil der Rennräder an der Gesamtzahl verkaufter Velos stieg von einem auf zwei Prozent. Was sich unbedeutend anhört, ist für Deutschland indes eine kleine Sensation. Denn zumindest im Westen und in den letzten 50 Jahren war der Radsport nur ein äußerst zartes Pflänzchen. Allerdings: Die Vereine klagen nach wie vor über Nachwuchsprobleme. Jugendliche seien kaum noch bereit, ernsthaft zu trainieren, also täglich 50 bis 100 einsame Kilometer abzureißen. Der kleine Radsport-Boom wird insofern von der mittleren Generation getragen, die zwar auf Leistung bedacht ist, aber bei richtigen Rennen kaum Chancen hätte.

Nicht zuletzt um diese Gelegenheits-Racer kümmert sich der BDR (Bund Deutscher Radfahrer). Bruno Nettesheim, BDR-Breitensport-Referent, sieht „einen stetig wachsenden Zulauf“ bei den Veranstaltungen, die von den Mitgliedsvereinen seines Verbandes ausgerichtet werden, aber auch für Nichtmitglieder gedacht sind. Lediglich die Startgebühr (die zumeist im Bereich von sieben bis 13 DM liegt) ist für die frei herumdüsenden Rennradler ein wenig höher. Radtourenfahrten (RTF), A-Wertung, so heißt eines der beliebtesten BDR-Angebote für absolute beginners, Wiedereinsteiger und auch regelmäßig trainierende Amateure. Sie treffen sich am Wochenende oder an Feiertagen, die Strecke ist vorgegeben. Doch jeder kann die Länge innerhalb von fünf Kategorien selbst bestimmen. Die kleinste Route führt über wenigstens 40 Kilometer, die längste kann bis an die Kilometermarke 200 heranreichen. Eine Zeitmessung erfolgt nicht, Konditionsaufbau („A“ steht für Ausdauer) und Gruppenfeeling stehen im Vordergrund. Warum mehr und mehr Hobby-Rennfahrer die A-Klasse für sich entdekken, erklärt Bruno Nettesheim zuerst einmal mit dem Service, den die Vereine anbieten: Streckenausschilderung, Kontrollstellen mit Verpflegung, Erste Hilfe, Duschen am Ziel. Erfreulich sei auch, daß die „übrigen Verkehrsteilnehmer dem Radverkehr gegenüber sensibler geworden sind“.

Noch bis Oktober stehen Radtourenfahrten der A-Wertung überall in Deutschland auf dem Programm. Sämtliche Termine mit den jeweiligen Kilometeralternativen und der Adresse des Veranstalters sind im BDR-Breitensportkalender aufgeführt (siehe unten). Neben weiteren Angeboten sind dort auch die Radtourenfahrten der Abteilung „Permanent“ zu finden. Das sind Strecken, auf denen unabhängig von den festen Terminen trainiert werden kann – ganz nach Lust, Laune und freier Zeit. Den Streckenverlauf erfährt man beim jeweiligen Organisator, also bei den Radsportvereinen.

Über verkehrsarme Routenführungen auf möglichst schnellem Asphalt macht sich auch der eine oder andere Fahrradladen Gedanken. Auf alle Fälle diejenigen, die keinen Trend verpassen wollen oder die auch in schweren Zeiten rennradmäßig bei der Stange geblieben sind. Zur zweiten Gruppe zählt beispielsweise das Fahrradfachgeschäft Velophil in Berlin: Seit bereits zehn Jahren organisiert es für seine Kunden und andere Interessierte Trainingsausfahrten. „Wer zum ersten Mal mitkommen möchte, sollte schon wissen, daß wir einen flotten Schnitt fahren, so 25 bis 28 Stundenkilometer. Dazu in Zweierreihen, sehr eng, aber eine Kaffeepause ist natürlich auch vorgesehen“, erklärt Geschäftsführer Reiner Probst. In der Saison geht's fast jeden Sonntag ins Berliner Umland, die Strecken sind mal 90, mal an die 200 Kilometer lang. Rainer Probst, 40, ist selbst nicht immer dabei, aber öfter: „Macht Spaß und ist gut für die Kondition.“

Im Gegensatz zu den Radtourenfahrten des BDR ist die Teilnahme bei den Berlinern kostenlos, aber natürlich können sie nicht in jedem Punkt den Service eines Vereins anbieten. Aufs Wesentliche wird jedoch geachtet: So werden alle Teilnehmer aufgefordert, vor dem Start die Maschinen gründlich zu überprüfen („vor allem Bremsen und Bereifung“) und einen Helm zu tragen. Auch Rudolf Scharping dürfte inzwischen wissen, warum.

Breitensportkalender 1999: Erhältlich beim Bund Deutscher Radfahrer e. V. (BDR), Referat Breiten- und Freizeitsport, Otto-Fleck-Schneise 4, 60258 Frankfurt/Main (gegen 5 DM Versandkosten). Ansonsten bei den Vereinen des BDR oder in Fahrradgeschäften (dort im Normalfall kostenlos).