Prominenz, Performance, Party

Mehr als 350.000 BesucherInnen schoben sich beim lesbisch-schwulen Stadtfest durch die Motzstraße. Die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast traute als „Standesbeamtin“ zwei Homo-Paare. Doch die Politik ging im Jahrmarktsrummel beinahe unter  ■   Von Katrin Cholotta

Es war heiß, und die Menschen waren sich noch nie so nah. Über 350.000 BesucherInnen schoben sich am Wochenende auf dem 7. Lesbisch-Schwulen Stadtfest durch den Motzstraßenkiez am Nollendorfplatz. Organisiert vom Regenbogenfonds der schwulen Wirte in Zusammenarbeit mit dem schwulen Infoladen Mann-O-Meter, gab es an zwei Tagen Prominenz, Performance, Party und intensiven Körperkontakt.

Schönebergs bündnisgrüne Bezirkbürgermeisterin Elisabeth Ziemer, die bereits am 17. Juni drei Regenbogenflaggen vor dem Schöneberger Rathaus gehißt hatte, eröffnete das Stadtfest als Schirmherrin persönlich. Das „wilde Sofa“, die einstündige Promi-Talkrunde, wurde kurzerhand in das „wilde Bett“ umbenannt, weil das eigentliche Sofa kein Platz mehr fand. So mußten Volker Hassemer, Geschäftsführer von „Partner für Berlin“, und Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer auf dem harten Eisengestell des „Jailhousefuck“-Betts Platz nehmen, das samt Handschellen von der Ministerin verlost wurde.

Das grüne Engagement äußerte sich zudem, außer auf Luftballons, auch in der symbolischen Trauung zweier homosexueller Paare. „Schwule und Lesben haben in dieser Republik bisher nicht die Möglichkeit, eine Lebenspartnerschaft, eine Ehe einzugehen“, sagte die Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast, die in die Rolle einer Standesbeamtin schlüpfte. Sie verwies auf die Diskriminierung homosexueller Paare. Es müsse eine Form gefunden werden, „die nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte beinhaltet.“ Das Publikum, das sich gerade an der Szene vorbeischob, verfiel in euphorischen Beifall – und mußte sich wie die Frischvermählten mit einer Portion Reis überschütten lassen.

An anderer Stelle regneten derweil Hunderte Bierrosetten auf die Currywurstbrötchen und Chinapfannen der konsumierenden Massen. Wahrscheinlich aus Protest. Denn die AnwohnerInnen, die anfänglich neugierig auf ihren Balkonen ausgeharrt hatten, zogen sich spätestens beim Auftritt von Powerpop „Glitterexplosion“ in die hinteren Zimmer zurück – doch es half ihnen nichts.

Lange Gesichter gab es dann, als die Doppelgängerin des Hausfrauenlieblings „Cher“ ihren Auftritt absagte. Laut Moderatorin war sie nicht „strong enough“, in Wahrheit mußte sie aber hinter einem anderen Promo-Auftritt zurückstehen.

Zeit für die bunte Homo-Welt, sich von der Bühne ab- und den über 250 Ständen zuzuwenden. Etwa 100 Vereine und Unternehmen warben mit mehr oder weniger homosexuellem Bezug um Aufmerksamkeit. Dabei wurde weitaus mehr über Kulinarisches diskutiert als über die Themen Aids und Gewalt gegen Lesben und Schwule, die 1993 die Initialzündung zum ersten Straßenfest auslösten. „Das sind nie und nimmer echte Thüringer Rostbratwürste“, kommentierte mit leicht sächsischem Akzent die Kopie eines kalifornischen Polizisten, „die schmecken ganz anders.“

Die Ex-Quellendorferin Michaela Lindner, die kauend unter einem knallroten Schirm für die PDS warb, schien das wenig zu stören. Als wirklich störend dagegen empfanden viele die in diesem Jahr erstmals aufgestellten Schießstände, Losbuden und Kettenkarusells. „Chinapfannen kann man ja wenigstens noch konsumieren“, sagte eine Mitarbeiterin des schwul-lesbischen Magazins Siegessäule, „aber dieser Rummelkram ist doch echt das letzte.“

Zuviel Rummel schien es auch um die Tatort-Kommissarin Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal zu geben. Sie gab sich am Rand des Straßentrubels sehr zurückhaltend. „Wehe, wenn du mich ansprichst“, schien ihr Blick zu sagen. Das raubte jedem vorbeiziehenden Fan nicht nur die Möglichkeit, ein Autogramm zu ergattern, sondern sogar den Mut, auch nur hinzuschauen. So blieb nur noch der Rückzug zur Hauptbühne, wo es wenigstens Doubles zum Anfassen gab.