„Rentenniveau muß sinken“

■ Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält die Einführung einer Pflicht zur privaten Altersvorsorge für sinnvoll – und zwar auch für Nichterwerbstätige

Gert Wagner ist Mitglied des Expertenteams von Arbeitsminister Riester zur Rentenreform.

taz: Arbeitsminister Riester hat nicht auf den Rat seines Expertenteams zur Rentenreform gehört. Fühlen Sie sich jetzt vor den Kopf gestoßen?

Gert Wagner: Zum Teil hat er schon auf uns gehört. Aber ich habe mich geärgert, daß ich von einer Journalistin Details der geplanten Rentenreform mitgeteilt bekam. Die Expertenrunde hat sich bislang nur einmal getroffen, und danach hat Herr Riester die Vorschläge im Ministerium ausarbeiten lassen. Die verletzte Eitelkeit von uns Professoren ist aber nicht so wichtig. Allerdings muß sich der Minister nun auch Kritik gefallen lassen.

Riester will den Anstieg der Renten für zwei Jahre auf das Niveau der Inflation absenken. Die Renten werden also um zwei bis drei Prozent weniger ansteigen als bisher.Was halten Sie davon?

Das ist eine Senkung des Rentenniveaus. In Zukunft wird es immer mehr ältere Menschen geben. Wenn man sich wirtschaftspolitisch nicht zutraut, das Rentenzugangsalter zum Beispiel auf 67 Jahre zu erhöhen, dann kommen große Belastungen auf die Altersvorsorge zu. Deshalb ist es besser, das Rentenniveau rasch zu senken, anstatt die Senkung auf viele Jahre zu verteilen, wie es die alte Regierung vorhatte. Der Arbeitsminister versucht, die Belastung gerecht zwischen Rentnern und Beitragszahlern zu verteilen. Das könnte man aber noch besser auf einem anderen Weg erreichen.

Auf welchem Weg?

Anstatt das Rentenniveau einfach abzusenken, könnten die Renten besteuert werden. Denn die Besteuerung kann differenzierter erfolgen: Wer neben der Rente noch weiteres Einkommen hat, muß dann mehr Lasten übernehmen, als jemand, der nur seine gesetzliche Rente hat.

Ist es sinnvoll, daß Minister Riester die private Vorsorge der Erwerbstätigen steuerlich unterstützen und zur Pflicht machen will?

Ja, aber das reicht nicht. Die kapitalgedeckte Zusatzversicherung kommt nach den Plänen des Arbeitsministeriums nur denjenigen zugute, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Alle anderen, zum Beispiel nicht erwerbstätige Alleinerziehende und Arbeitslose, profitieren davon nicht.

Was schlagen Sie zusätzlich vor?

Mindestbeiträge auch für Nichterwerbstätige. Und wenn jemand sehr wenig Geld hat, muß der Staat zu diesem Mindestbeitrag einen Zuschuß zahlen.

Halten Sie es für notwendig, eine Pflicht zur Privatvorsorge einzuführen?

Gutverdienende brauchen natürlich keine kapitalgedeckte Pflichtversicherung, sie sorgen ohnehin freiwillig vor. Aber für Menschen mit geringem Einkommen ist die Pflicht hilfreich. Sie würden es sonst nicht machen und hätten dann wegen des abgesenkten Rentenniveaus eine Versorgungslücke im Alter.

Halten Sie die geplante Höhe von 0,5 Prozent des Bruttolohns, die innerhalb von fünf Jahren auf 2,5 Prozent ansteigen soll, für richtig?

Im Prinzip ist das okay. Aber wenn jeder 2,5 Prozent des Bruttolohns zusätzlich auf die hohe Kante legen muß, wird weniger konsumiert. Das könnte für eine Wirtschaft in der Flaute sehr negative Folgen haben. So etwas kann man nur in einer Phase der Hochkonjunktur einführen. Deshalb sollte man den Zeitpunkt, ab dem gespart werden muß, von der konjunkturellen Lage abhängig machen.

Denken Sie, daß alle Leute in der Lage sind, die richtige kapitalgedeckte Privatvorsorge für sich zu finden? Schließlich gibt es unseriöse Angebote von Lebensversicherungen und Aktienfonds.

Es ist sinnvoll, wie die Regierung das plant, daß eine Art Gütesiegel für seriöse Versicherungen und Kapitalanlagen entwickelt wird. Außerdem müssen die Lebensversicherungen besser reguliert werden. Zu viele arbeiten zur Zeit unwirtschaftlich. In der Regierungserklärung steht, daß die Regierung den Wettbewerb unter den Lebensversicherungen stärken will. Das ist die richtige Richtung.

Was halten Sie von Betriebsrenten, die von vielen als Wundermittel gepriesen werden?

Sie müßten auf jeden Fall anders organisiert werden. Betriebe sollten das Geld der Arbeitnehmer nicht im eigenen Betrieb anlegen, sondern in eine unabhängige Lebensversicherung oder einen unabhängigen Altersvorsorgefonds einzahlen. Am besten wäre es, die betriebliche Altersvorsorge ganz abzuschaffen, denn sie dient dazu, die Arbeitnehmer an den Betrieb zu binden. Das paßt nicht mehr in die heutige Wirtschaft, die Mobilität benötigt.

Die Regierung plant eine Mindestversorgung, die aber nur so hoch wie die Sozialhilfe sein soll. Reicht das aus?

Ja, denn es sollte keine Sozialhilfe de luxe für Rentner geben. Aber alten Menschen sollte der Gang zum Sozialamt erspart bleiben. Interview: Tina Stadlmayer

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