Sozialkitsch-Keule ohne Kompromisse, aber mit Mission

■ Die amerikanische Starautorin Sapphire las auf der „Hammoniale“. Sie berückte, schockierte und enttäuschte

Was passiert, wenn eine Sozialpädagogin zu schreiben beginnt? Genau: Sie meidet den Elfenbeinturm, den sie eh nie erklomm, und versucht, die Gosse, deren Gewalt und deren Sprache begreiflich zu machen.

Sapphire , links im Bild, ist darin radikal. Dreizehn Jahre lang unterrichtete sie sogenannte lernbehinderte Kinder in den New Yorker Slumvierteln Bronx und Harlem, und aus dieser Zeit speist sich das Erfahrungspotential der Endvierzigerin, die von der Erscheinung wie vom Auftreten her zu den ihr Leben lang behüteten Berufsjugendlichen gehört. Eine harte, aufgeregte Energie geht von ihr aus, die, wenn sie in den Rollen ihrer Romanfiguren liest, in herzliche Wärme umschlägt. Mit diesem Temperament wurde Sapphire bei Slam-Poetry-Performances berühmt.

American Dreams nennt sie ironisch ihre Gedichtsammlung, die bereits 93 erschien. Knallhart geht die zur Sache, schildert zum Beispiel den Gedankenstrom eines jugendlichen Schwarzen, der im Central Park eine Frau überfällt und vergewaltigt. „I'm the ape, black ape, in white sneakers“, „my dick is the Empire State Building“, klingt der Text des stigmatisierten Täters in Liturgie-artigem Poetry-Singsang. Gut, daß sich „ape“ (Affe) auf „rape“ (Vergewaltigung) reimt. Daß eine Frau über Sexualverbrechen aus Sicht des Täters schreibt, ist ungewöhnlich. Daß sie ihm jedoch ihr eigenes Bewußtsein und Können andichtet, die Tat mitleidheischend und im Sozialarbeiterimpetus zu erklären, ist peinlich. „Sieh, was ich jeden Tag sehe: Wände aus Blut“, raunt der mißhandelnde Mißhandelte seinem weißhäutigen Opfer zu und erwähnt auch noch, daß er nur deshalb in eine Klasse für Zurückgebliebene gesteckt wurde, damit seine Mutter höhere Sozialzuwendungen bekam.

Scheinbar schlüssig und hübsch politisch korrekt, ist das dichterisch nichts anderes als eine fromme Lüge, geschönte Realität. Denn genau so denkt ein Vergewaltiger im Moment der Tat eben nicht. Und es sind auch nicht nur junge malträtierte Schwarze, die vergewaltigen. Etwas komplizierter verläuft er schon, der Kreislauf der Gewalt, den offenzulegen und zu durchbrechen Sapphires Anliegen ist.

Formal steht sie mit ihren handlungsreichen, langen Gedichten zwar in der Tradition amerikanischer Poeten wie Eliot oder Auden, und ihre Wortwahl, auf die Protagonisten ihrer Stories abgestimmt, knüpft zwar an Ginsberg und Burroughs an, aber die diamantene Härte der Beatniks erreicht sie mit keiner Zeile. Auch die einschlägige New Yorker Sozialproblematik liest sich in Tom Wolfes The Bonfire of the Vanities ergreifender. Neues kann Sapphire also nicht beisteuern, neu ist nur, daß hier eine Frau das heiße Eisen anpackt.

Das tut sie auch in ihrem Roman Push. Da trifft uns die Kitsch-Keule noch unsanfter. Denn für die minderjährige Heldin, zum zweiten Mal vom eigenen Vater schwanger, ergibt sich eine Rettung, wie sie schöner kein Hollywood-Vermarkter und kein Sozialamt hätten bestellen können: Nach sechzehn Lebensjahren ständiger Unterdrückung, Mißachtung, Frustration erlernt das Mädchen in einem alternativen Schulprojekt im Eiltempo das Lesen, das Schreiben und neues Selbstwertgefühl. Womit sich anscheinend alle Probleme verflüchtigen. Gut für den Verkauf, so ein Happy Ending, aber schlecht für den literarischen und Wahrhaftigkeitswert.

Push ist ein billiges, verlogenes Plädoyer für mehr Stellen im Sozialbereich, der in der Realität beinahe chronisch versagt. Aber um Literatur handelt es sich im Grunde sowieso nicht. Dazu fehlt die zweite, die metaphorische Ebene, und auch politisch sind Sapphires Ergüsse strenggenommen nicht: Sie liefert keine gesamtgesellschaftliche Perspektive, sie verschweigt, für wen die Ärmsten der Armen hungern und sich durchs Leben prügeln. Die Reichen werden hier geschont. Vielschichtig sind Sap-phires Figuren auch nicht; Sozialkitsch mit Mission ist auf Popularität aus.

Als Zeitgeistsyndrom hat solche schlechtgemachte Vortäuschung von Dokumentationspoesie sicherlich Berechtigung, denn immerhin setzt Sapphire ein starkes Signal, zumal sie sich auch bürgerrechtlich engagiert. In Deutschland fehlen diese Ansätze zu neuer Literatur. So manche Hamburger Lady, die wohl noch nie über den Goldrand ihres Napfes hinaussah, war daher auf Kampnagel bei der Hammoniale-Lesung nur vom Fäkalvokabular schockiert: „Eine Zumutung!“

Die aber ist es in ganz anderer Hinsicht. Mehr über die neue amerikanische Brutalo-Literatur folgt morgen, wenn Harald Schmidt aus American Psycho las.

Gisela Sonnenburg