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„Bleib in deiner Sprache“

■ Gedenken in Stahl und Stein: Ein Gespräch mit dem Bildhauer Richard Serra über schweres Material, die plötzliche Popularität seiner „Torqued Ellipses“ und seine Kritik an Peter Eisenmans überarbeitetem Stelenfeld für das Berliner Holocaust-Mahnmal

Man kennt Stahlblöcke und Platten von Richard Serra, wie den „Berlin Block for Charlie Chaplin“, der vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin steht. Nun ist der Werkkomplex „gedrehte Ellipsen“ dazugekommen. Nach der Ausstellung im MOCA in Los Angeles wurde die neue Arbeit des 1939 geborenen Serra, dessen Minimal-art-Skulpturen für den öffentlichen Raum in den siebziger und achtziger Jahren einigen Streit auslösten, in den USA fast populär. Derzeit sind die „Torqued Ellipses“ im Guggenheim-Museum in Bilbao sehen.

In Deutschland ist Richard Serra auch wegen seiner Beteiligung am Konzept für das Beton-Stelenfeld zum Holocaust-Mahnmal in die Diskussion geraten. Nachdem er den Entwurf gemeinsam mit Peter Eisenman eingereicht hatte, trat Serra im Mai 1998 vom Wettbewerb zurück. Jetzt soll der Bundestag am 25. Juni entscheiden, ob ein überarbeiteter Eisenman-Entwurf umgesetzt wird oder der Vorschlag Richard Schröders (SPD), den Ausspruch „Nicht morden!“ abzubilden.

Zuletzt wurde Serras Arbeit „Bramme für das Ruhrgebiet“ im November letzten Jahres auf einer stillgelegten Kohlenhalde in Gelsenkirchen realisiert.

Was steckt hinter den „Torqued Ellipses“?

Richard Serra: Ich arbeite seit einigen Jahren an einer Serie von gedrehten Ellipsen. Die Idee kam mir, als ich in Rom eine Kirche von Borromini sah, die eine reguläre Ellipse als Basis hat und zu einer weiteren Ellipse an der Decke aufsteigt. Als ich aufsah, um die Bauweise zu verstehen, fragte ich mich, ob es möglich sei, die Ellipse von der Höhe zum Boden zu drehen, so daß die Decke im rechten Winkel zur Basis stünde.

Also habe ich ein Modell aus Holz gebaut, das sich aber immer wieder verdrehte. Dann habe ich im Architektenbüro von Frank Gehry angerufen, bei einem Ingenieur, der aus der Luftfahrtindustrie kommt. Ich fragte nach, wie die Form, die eine Ellipse umfängt, aussieht. Er wollte mir gerne helfen, mußte aber erst das neue Museum von Gehry in Bilbao berechnen. Ich griff wieder zu meinem Holzmodell und verband die zwei gleich großen elliptischen Grundflächen mit einer Achse. Dann legte ich ein Stück Blei auf den Boden und rollte das Modell darauf ab wie ein Rad. Als ich den Abdruck ausschnitt, konnte ich damit die beiden Holzräder genau ummanteln und hatte meine Form. Ich mußte nur noch die Biegestellen bestimmen, um genau zu wissen, wie der Stahl in die Schmiedepresse muß.

Wie und wo werden die Stahl-Ellipsen gebaut?

Rick Smith, Gehrys Ingenieur, hat für mich die Biegestellen genau berechnet, und damit haben wir uns auf die Suche nach einer Stahlschmiede gemacht. Wir suchten in Korea, hier in Deutschland, in England. Ich hatte mit General Dynamics in Amerika gearbeitet, sie bauen U-Boote. Die wollten da nicht ran, in Deutschland wollte eine Firma den Stahl erhitzen und dann biegen! Schließlich habe ich eine Firma in Baltimore, Maryland, gefunden. Rick Smith hatte alle Biegepunkte auf das erste Stahlblech aufgetragen. Das haben die einfach ignoriert und den Stahl wie einen Kegel gebogen. Die Platte – 4,88 Meter breit, 12,20 Meter lang und 5 Zentimeter dick – brach in zwei Hälften. Es hörte sich an wie ein Blitzschlag – sechs Monate haben die Anwälte und Banker gestritten. Für die nächsten Stücke brauchten wir acht Monate, dann schloß die Firma, sie war pleite. Als wir schon dachten, man kann diese Reihe nicht beenden, haben wir die Firma Pickhan in Siegen gefunden, und die machen es sehr gut, fünf Stücke sind da schon rundgeschmiedet worden.

Wie ist die Reaktion des Publikums auf diese „barocken“ Skulpturen?

Manche finden sie spielerisch, andere sehen sie als bedrückend an. Die Wahrnehmung der einzelnen Ellipse ist anders als bei den doppelten. Eine hat eine Öffnung, die 15 Zentimeter über der Bodenfläche hängt, man kann sich nicht vorstellen, wie es innen ist, wenn man außen herumgeht.

Im Guggenheim-Museum von Bilbao sind acht Ellipsen zu sehen. Viele meinen, es sei ein neuer Werkkomplex, aber ich arbeite bereits mehr als 15 Jahre an Kegelformen, die jetzt nur geschlossen wurden. Die Reaktionen sind erstaunlich, früher fanden viele meine Arbeiten bedrückend oder schwerfällig, aggressiv ... und auf einmal mag man meine Arbeiten. Dabei sind sie nicht leichter geworden, die Doppelellipsen wiegen mehr als 100 Tonnen. Die Menschen empfinden sie aber als offen, sogar als lyrisch und befriedigend. Ich habe Reaktionen für diese Arbeiten bekommen wie für keinen anderen Werkkomplex je zuvor. Mir ist das ziemlich suspekt. Ich glaube nicht, daß diese Stücke besser oder schlechter als andere sind. Oder es sind nicht viele Bildhauer auf der Welt übrig – ich weiß es nicht. In Los Angeles haben 70.000 oder 80.000 Menschen die Arbeiten gesehen.

Welche Bedeutung hat Stahl als Material für den Künstler Richard Serra?

Während meines Studiums habe ich im Sommer für meinen Unterhalt immer in Stahlhütten gearbeitet, da war ich 17, 18 Jahre alt. Ich kenne fast alle große Stahlwerke von Amerika, habe da gearbeitet, als ich schon Kunst in Yale studierte. Für die Kunst war bis dahin Stahl immer etwas, aus dem man mit der Hand ein Bild machte. Er wurde ausgeschnitten und collagiert, daß es gut zusammenpaßte und eine Art 3-D-Bild wurde. Ich kam zum Stahl, weil ich als Junge schon das Potential der industriellen Revolution begriffen habe. Ich kenne seine Schwerkraft, sein Gewicht, die Statik, Masse und seine technischen Möglichkeiten.

Warum kam es bei dem Entwurf für das Holocaust-Denkmal in Berlin dann zu Beton als Werkstoff?

Peter Eisenman wollte die Stelen für das Feld erst aus Stein machen, wie auf dem jüdischen Friedhof, den es in Prag gibt. Ich fand das postmodern, einen ganzen Friedhof aus Stein zu imitieren, und riet ihm, mit Beton zu arbeiten. Aber nach und nach kam mir das Ganze wie ein Pastiche des Minimalismus vor. Zu viel von Carl Andre, zu viel Don Judd, zu viel von mir selbst. Und ich dachte, mach lieber keine Parodie auf deine Arbeit, nur um Eisenmans Idee von dem, was eine Skulptur sein soll, zu dienen. Aber ich wünsche ihm alles Gute, wir haben nicht geglaubt, das dieser Entwurf durchkommt. Ich fand ihn allerdings besser, als er 4.000 Steine groß war. Nun sind nur noch 1.800 Betonstücke übrig.

Gab es schon vorher Arbeiten zum Gedenken?

In Stommeln, im Rheinland, hat man mich gebeten, eine Arbeit für eine ehemalige Synagoge zu machen. Es ist eine der wenigen Synagogen in dieser Gegend, die die „Reichskristallnacht“ überstanden hat. Also habe ich einen Katalog gedruckt, in dem die zerstörten Synagogen gezeigt wurden. Und ich habe ein Stück gemacht, das in gewisser Weise daran erinnert, wovon Primo Levi über Auschwitz schreibt. Es ist eine sehr einfache Arbeit, zwei geschmiedete Teile, die sich gegenseitig halten und sonst fallen würden. Ich habe es „Die Untergegangenen und die Geretteten“ nach dem Buch von Primo Levi genannt. Meine Arbeit versucht auf sehr einfache Weise zu zeigen, was da passiert ist – in dem Verhältnis von Individuum und Masse, zwischen Totalitarismus und Faschismus, was immer. Ich glaube nicht, das es schwer zu begreifen ist: Was hält dich aufrecht, was läßt dich fallen? Heute steht die Arbeit in einem Kölner Klosterraum, der Columba-Kapelle, die im Zweiten Weltkrieg zur Ruine wurde, und ich bin froh, daß sie für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

Wo bleibt der antiideologische Anspruch Ihrer Kunst?

Ich glaube nicht, daß irgendein Kunstwerk der Grausamkeit des Holocaust gerecht wird, das ist unmöglich. Ich glaube, jede Kunst kann immer nur der Katalysator sein, das eigene Sein zu reflektieren, im Verhältnis zur eigenen privaten Erfahrung. Die meisten Monumente sind sehr statisch, wie Objekte. Deshalb haben wir für Berlin ein Feld erfunden, in dem man sich bewegen kann: Je weiter man hineingeht, desto mehr wird man auf sich selbst geworfen. Vielleicht waren es zu viele Blökke und das Areal zu groß, man muß es im Detail genau ansehen. Jetzt sieht es sehr vornehm aus, nach Mister Naumann und dem, was er denkt, was da hin muß. Und Peter wurde von Peter „schwer“ zu Peter „leicht“, die erste Idee ist verwässert. So werden wir ein Light-Monument mit einer Naumann-Zudringlichkeit haben. Ich habe ein wenig Angst, daß es zu einem dekorativen Park wird.

Und was ist mit der Ideologie, mit dem Zweck der Kunst?

Kunst ist immer ideologisch, sie hat immer einen Rahmen oder Bezug. Wenn man eine Arbeit vor eine Kirche stellt, wird sie anders gesehen als vor einem Museum oder auf der Straße. Der Rahmen hat immer einen Oberton, und dieser Ton gehört immer zu einer größeren politischen Struktur.

Gibt es Arbeiten, die der Ideologie zu entkommen versuchen?

Vielleicht ist die Schurenbach-Halde in Gelsenkirchen-Heßler ein gutes Beispiel: Da gab es nur Kohleberge in einer sterbenden urbanen Situation. Die Stahlindustrie ist am Ende, sie hat einmal die ganze deutsche Industrie in Gang gehalten. Also wollte man diese Landschaft verschönern und einen Skulpturenpark einrichten. Es waren aber nur die Berge mit dem Abraum da, der anfällt, wenn man Kohle fördert. Ich schlug vor, zunächst einen einzigen Hügel zu machen, das haben wir erst am Computer simuliert. Er wurde so wie ein elliptisches Fußballfeld – Kohle gepreßt mit Erde, 800.000 Millionen Tonnen Erde wären dafür zusammengeschoben worden. Und ich hatte nicht die Spur einer Idee wofür. Ich wußte nicht, was man damit machen kann, bin herumgelaufen und war vollkommen fasziniert von der Kraft und dem Mysterium dieses Ortes – es war wie eine Mondlandschaft. Wir hatten etwas getan, was alle Überlegungen in dir von alleine anstellt. Man kann dort nicht herumlaufen, ohne über die Bedeutung der Sklavenarbeit, die unter einem liegt, nachzudenken. Ich hatte keine Idee, was ich als Bildhauer dazu noch sagen sollte. Erst dachte ich an ein Stück Stahl am Rand, hatte blöde Ideen für Erdarbeiten, was aber alle gut fanden. Ich bin da immer wieder herumgewandert, bis ich gemerkt habe, daß man unwillkürlich immer wieder vom Rand der Ellipse auf die Höhe in das Zentrum geht. Okay, dachte ich, dann bleib in deiner Sprache, nimm eine große Stahlplatte, und steck sie in die Mitte. Und das ist es – all die Kohle unter dir und die untergehende Stahlindustrie am Horizont: Es ist eine Art soziologischer Gedenkstätte geworden, in ganz einfacher Form mit einer Platte – total konventionell, mit monumentaler Absicht. Dann sollte ich entscheiden, wie groß die Stahlplatte werden soll. Die Bramme braucht eine bestimmte Dicke, und sie sollte von Ferne noch zu sehen sein, auch von der Autobahn: sie ist jetzt 13,5 Zentimeter dick, 14,5 Meter hoch, 70 Tonnen schwer. Aber wenn du sie siehst, meinst du, sie wirkt wie eine Feder. Sie bewegt sich, und der Berg selbst ist in Bewegung. Man versucht parallel zum eigenen Körper eine vertikale Sicht zu bekommen. Aber mit dem beweglichen Grund bewegst du dich auf diesem Feld. Im Blick die stillgelegten Zechen, die maroden Stahlhütten am Rand – alles im Untergang. Diese Arbeit dient dem Gedenken all der Menschen, die 100 Jahre lang ihr Leben für das Rückgrat der Industrie dieses Landes geopfert haben. Das ist das Gefühl, das jedem da hochkommt, unwillkürlich. Und auf der anderen Seite, meine ich, ist es vollkommen traditionell: ein einfaches Element und ein leeres Feld. Interview: Johanna Schenkel

Richard Serra: „Torqued Ellipses“. Bis 25. 10., Guggenheim-Museum Bilbao Das druckgrafische Werk, vom 11. 8. – 26. 9. k/haus Wien, danach 8. 10. – 16. 1. 2000, Staatsgalerie Stuttgart

Das Gespräch wurde für die Sendung „Metropolis“ geführt, die am 26. 6. um 21.40 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird.

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