Der Traum vom humanoiden Roboter

Noch stehen menschenähnliche Laufmaschinen auf recht wackligen Beinen. Doch die Forscher glauben , daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es die ersten humanoiden Roboter geben wird  ■   Aus Jena Matthias Urbach

„Fetch!“ („Hol‘s dir!“), lautet die Aufforderung auf der Sony-Homepage. Neben dem Schriftzug glimmen zwei grüne Augen unter der Gesichtshaube des Aibo, des ersten Roboter-Haustieres. Das runde Design des Blechhundes läßt ihn aussehen wie ein Terrier im Raumanzug. 3.000 Stück hatte Sony am 1. Juni per Internet in Japan für 50.000 Yen das Stück (780 Mark) feilgeboten. Innerhalb von 20 Minuten war der Miniroboter ausverkauft.

Gegen den kleinen Blechkameraden wirken die Laufmaschinen reichlich spröde, die derzeit durch das Fojer des Hörsaalzentrums der Jenaer Universität krabbeln. Zumeist verkabelte Alugerippe, bepackt mit kleinen Motoren, langen Kabelschnüren und aufgesetzten Platinen, wirken sie eher wie das Innenleben eines Personal Computers, das man plötzlich auf Beine gesetzt hat. Von einem verkaufsfähigen Produkt sind sie noch weit entfernt.

Hier in Jena, auf der dreitägigien Tagung des IARP, des International Advanced Robotics Program, auf denen Experten vorwiegend aus Japan, den USA und Deutschland noch bis heute ihr Wissen über Roboter austauschen, wird deutlich: Zwischen Japan und Deutschland liegen mehr als nur 18 Jahre Rückstand in der Roboterforschung. „Wir sind die Vorreiter“, sagt Hirochika Inoue selbstbewußt. Und der japanische Professor aus Tokio weiß, wovon er spricht: Seit 1965 forscht er in der Robotik, und er leitet das neue Forschungsprogramm des Miti, des mächtigen japanischen Industrieministeriums. Über fünf Jahre will es 78 Millionen Mark lockermachen allein für die Entwicklung eines Standards und von Anwendungsprofilen für einen humanoiden Serviceroboter.

Der humaniode Roboter soll alten Menschen zu Hause auf die Beine helfen, Lasten tragen oder Opfer aus Erdbebenzonen bergen. Vor allem die kommende Vergreisung der japanischen Gesellschaft – ab 2035 wird ein Drittel der Bevölkerung über 65 sein – macht nach Meinung der japanischen Regierung die Entwicklung eines „menschenfreundlichen, universellen“ Serviceroboters dringend nötig. Sein Aussehen soll sich an dem P2 von Honda orientieren – die blasse Farbe, der runde Gesichtshelm mit schwarzen Visier und das große Batterienpaket auf dem Rücken geben ihm ein wenig das Aussehen eines Astronauten.

Doch es steckt mehr dahinter: „Die Japaner haben immer noch einen Traum“, sagt der Roboterforscher Kazuhiro Kosuge, „wir möchten so einen Roboter haben.“

Friedrich Pfeiffer, Roboterforscher an der TU München, macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für diesen beherzten Ansatz der Konkurrenz. „Die Japaner probieren halt solche Dinge immer aus – wir machen das leider nicht“, sagt Pfeiffer. „Wenn nichts rauskommt, haben sie was dabei gelernt, und wenn was dabei rauskommt, haben sie die Nase vorn.“

Bislang wirken die in Jena präsentierten Videos der Japaner wie alte Filme von den ersten Flugversuchen. Auch Inoues Zweibeiner, der „H5“, ein Humanoide mit zwei Kamerazylindern als Kopf, bewegt sich auf seinen zwei taschenbuchgroßen Fußplatten noch eher wie ein Greis: Er kriegt die Oberschenkel kaum auseinander und kann nur auf ebener Fläche, mit zitternden Oberkörper schreitend, die Balance halten. Vorsichtshalber hält ihn ein Student ständig an einer Sicherheitsleine fest.

Wenn irgendein Roboter den Respekt aller in Jena versammelten Forscher hat, ist es der japanische „Honda-Mann“, von dem immer wieder die Rede ist. Die Veranstalter wollten ihn nach Jena holen, doch der Autokonzern tut geheimnisvoll. Allein ein Video kursiert im Internet, auf dem man den Roboter immerhin Stufen überwinden sieht.

Doch bei Laufmaschinen brauchen sich die Deutschen nicht zu verstecken. Der elektronische Vierbeiner „Bisam“ etwa, der einem Hund nachempfunden ist (siehe Kasten), ist ein Beispiel dafür. Außer diesem Exemplar, das in Kooperation von der Uni Jena und der TH Karlsruhe hergestellt wurde, gibt es weltweit nur noch in Japan ein paar Vierbeiner – abgesehen von dem Sony-Hund, dessen Bewegungen deutlich primitiver sind. Bislang kann das vierbeinige Bisam-Gerüst auf seinen rosa-blauen Gummipfoten zwar nur geradeaus laufen, das aber schon recht stabil. Und die sechsbeinigen Laufmaschinen „Katharina“ und „Lauron“ sind recht beweglich und können kleine Hindernisse bewältigen. Vielversprechend sind auch die Achtbeiner, die sich durch Abwasserkanäle schlängeln und diese reparieren sollen. Zwar sind diese Modelle noch recht träge, doch das Entscheidende ist die Expertise dahinter. In Deutschland gibt es eine starke Kooperation zwischen Biologen, Sportwissenschaftlern und Ingenieuren, um der Natur ihre Kniffe abzuschauen.

Das würdigt auch der US-Forscher Richard Alan Peters von der Vanderbilt University in Nashville. Seiner Meinung nach ist das Roboterrennen noch nicht gelaufen: Die Stärke der Japaner sei die mechanische Ingenieurskunst; die USA beherrschen am besten die Robotersteuerung und -intelligenz, und die Europäer lägen vorn beim Verständnis der Fortbewegung und dem Transfer aus der Biomechanik. „Keiner hat einen wirklichen Vorteil“, urteilt Peters, „aber wenn wir unsere Erfahrung zusammenbringen, können wir es gemeinsam hinkriegen.“ Dieser Austausch ist auch das Ziel der IARP, die dafür 1982 auf Initiative der G 7 gegründet wurde.

Die USA konzentrieren sich Peters Einschätzung nach vor allem auf die Anwendung von Robotern in der Produktion. Das Ziel: hochflexible Roboter, die sich rasch auf neue Produktionslinien einstellen lassen. Die menschenleere Fabrik war eine der ersten Visionen der Robotertechnik, doch sie scheiterte. Die ersten Versuche mit solchen Fabriken zeigten, daß sie nur durch massiven menschlichen Organisationsaufwand zum Laufen zu bringen waren.

Aus Sicht der heutigen Forscher ist das, was in den modernen Autofabriken steht, eigentlich noch keine richtige Robotertechnik. Amerikaner wie Ralph Hollis von der Universität in Pittsburgh träumen derweil von einer Fabrik aus Minirobotern, die auf einer Tischplatte CD-Laufwerke und Festplatten zusammensetzen.

Doch auch sonst läuft einiges an roboterrelevanter Forschung in den USA, wo allerdings nicht immer das Label „Roboter“ draufsteht: vor allem Software für Simulationen, Steuerung und maschinelle Intelligenz. Diese Forschung ist stark anwendungsorientiert und zersplittert. Die einzige Institution, die in den USA eine breite Grundlagenforschung fördert, ist das Verteidigungsministerium, von dem bekannt ist, daß es sich nach dem Krieg ohne menschliche Verluste sehnt.

Der größte Markt für Roboter ist zur Zeit wohl die Unterhaltung: seien es Simulationen, die Computerspiele perfektionieren, elektronische Haustiere oder schauspielernde Roboter, wie sie Disney anfertigen läßt. Der erste richtige Roboter, wie ihn sich noch Kinder vorstellen, wird wohl aus Japan kommen. Ob er etwas taugen wird, ist noch völlig offen. Trotzdem hat Honda schon mal beim Vatikan gefragt, ob so ein humanoider Roboter auch keine religiösen Gefühle verletze. Der „Honda-Mann“ bekam den Segen aus dem Vatikan.