Transrapid brechen die Stelzen weg

Die lange umstrittene Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin droht nun doch an Mehrkosten von drei Milliarden Mark zu scheitern  ■   Von Heike Haarhoff

Berlin (taz) – Nichts, so schien es jahrzehntelang, konnte den Transrapid stoppen. Der Magnetgleiter auf Stelzen, der die 300 Kilometer lange Distanz zwischen den beiden norddeutschen Metropolen Hamburg und Berlin in nur einer Stunde Fahrzeit überwinden sollte, war das Symbol für den Traum vom nie endenden technischen Fortschritt, von Eisenbahnen, die beinahe lautlos durch die Landschaft gleiten. Ein Traum, vornehmlich gehegt und vorangetrieben von Männern – aus Politik, Industrie und Technik – trotzig und entgegen allen Warnungen, die den verkehrspolitischen und ökonomischen Sinn der Magnetbahn – sie ist weltweit mit keinem anderen Verkehrsmittel kompatibel – bezweifelten. Daß der Transrapid nun wegen Mehrkosten von rund drei Milliarden Mark in quasi letzter Minute doch noch zu scheitern droht, ist nicht verwunderlich. Die Frage der Finanzierung bot – wenn überhaupt – die einzige Möglichkeit, das Milliardenprojekt zu verhindern.

Dabei ist der Transrapid eines der am längsten geplanten und umstrittensten Projekte in der deutschen Verkehrsgeschichte. Die Idee dazu hatte bereits 1922 der deutsche Ingenieur Hermann Kemper. Er hatte die Vision, die Magnetschwebebahn durch ein luftleeres Röhrensystem fahren zu lassen. Ende der 60er nahmen die Planungen konkrete Formen an. Der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) beauftragte Ingenieure von Messerschmidt-Bölkow-Blohm, eine Hochleistungsbahn zu entwickeln.

Die geplante Strecke: Mün- chen – Hamburg. Zehn Jahre später wurde die Magnetschwebetechnik erstmals auf der Internationalen Verkehrsausstellung in Hamburg gezeigt. Ab 1984 dann wurde das erste Modell des Transrapid auf einer eigens entwickelten Teststrekke im niedersächsischen Emsland getestet. Entwikcelt worden war er von einem Konsortium aus sieben Firmen, darunter Thyssen-Henschel und Siemens. 1989 gab die Bundesregierung grünes Licht für den Bau einer Strecke, nunmehr aber nicht mehr von München nach Hamburg, sondern zwischen den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn. In der allgemeinen Wiedervereinigungseuphorie aber wurde die Fahrroute erneut geändert. Nunmehr im Gespräch waren fünf Strecken, darunter vier Ost-West-Verbindungen. Davon übrig blieb 1992 schließlich mangels Knete die abgespeckte Strecke von Hamburg nach Berlin, die der damalige Bundesverkehrsminister in den Bundesverkehrswegeplan aufnehmen ließ. „Nur“ eineinhalb Jahre später legte das Transrapid-Konsortium endlich ein Finanzierungskonzept vor. Danach waren Fahrweg und Betrieb wirtschaftlich strikt voneinander getrennt.

Insgesamt waren Investitionen von 10,4 Milliarden Mark veranschlagt. Zahlen, die von Anfang an nicht seriös waren, wie sich später herausstellt. 1996 warnt der Bundesrechnungshof vor Mehrkosten in Milliardenhöhe. Ein Jahr später revidiert auch die Magnetschnellbahn-Planungsgesellschaft zähneknirschend ihre Kostenrechnung um 3,6 Milliarden Mark nach oben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt ein Potential von „deutlich unter 10 Millionen Fahrgästen“ voraus.

Wissmann dagegen spricht euphorisch von jährlich 14,5 Millionen Passagieren, über deren Fahrkartenkauf der Transrapid wirtschaftlich fit gemacht werden soll. Woher er seinen Optimismus nimmt, bleibt sein Geheimnis. Zum Vergleich: Heute fahren jährlich etwa 1,5 Millionen Menschen mit dem Zug, 200.000 benutzen das Flugzeug und 4,3 Millionen das Auto, um zwischen Hamburg und Berlin hin- und herzureisen.

Im Januar 1997 gibt Wissmann seine Fehlkalkulation zu: Nunmehr wird nur noch mit 11,4 Millionen jährlichen Fahrgästen gerechnet. Um das Projekt trotzdem durchziehen zu können, wird ein eigenes Gesetz verabschiedet, das den Bedarf für die Stelzenbahn festschreibt. Die schleswig-holsteinische rot-grüne Regierung hat die Nase voll: Sie läßt das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob das Projekt mit dem Grundgesetz überhaupt vereinbar ist. Drei Monate nach Wissmanns Eingeständnis der Fehlkalkulation ziehen sich im April 1997 die industriellen Baukonzerne, die ursprünglich das komplette System finanzieren sollten, erschrokcen aus dem System zurück. An der Bahn, also der öffentlichen Hand, drohen nunmehr nicht nur die Kosten für den Fahrweg, sondern auch für das Betriebssystem hängenzubleiben. Einziger Betreiber und einziger Träger des Verlustrisikos ist also die Bahn. Trotzdem hält auch die Regierung unter SPD-Verkehrsminister Franz Müntefering an dem Projekt fest. Im November wird das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Umweltverbände wie Anwohner drohen mit Klagen.