„Sie kopieren nur“

■  Die große Son-Welle rollt außerhalb der Insel: Ibrahim Ferrer, Sänger des spätberufenen Buena Vista Social Club, über Ruhm, Rap, Revolution und kulturellen Niedergang auf Kuba

taz: Wie hat sich Ihr Leben verändert seit dem „Buena Vista Social Club“-Erfolg?

Ibrahim Ferrer: Alles hat sich geändert. Ich habe den Eindruck, wieder zum Leben erweckt worden zu sein. Es war eine große Überraschung, die ich nicht erwartet hatte.

Warum, glauben Sie, begeistern sich die Menschen in Europa jetzt plötzlich für Ihre Musik, den Son?

Das ist schwierig zu sagen. Für mich ist es das Gefühl, das diese Musik transportiert. Es geht um Gefühle, das muß es sein. Aber letztlich kann ich es mir nicht erklären.

Wie ist der Stand des Son auf Kuba?

Diese Art von Musik war fast ausgelöscht. Weil es starken Druck von außen gab, wissen die Leute heute kaum mehr, was ein Guaracha ist oder ein Danzon. Sie hören nur Salsa, Salsa, Salsa. Und Rap. Im Radio, überall. Wir haben zum Beispiel einmal, es ist schon länger her, an einem Ort gespielt, es war ein gutes Konzert, aber die Leute sind alle sitzen geblieben. Als danach eine junge Rap-Gruppe auftrat, haben alle getanzt. Weil sie unsere Musik nicht verstehen. Sie kennen nur Rap als ihre Musik.

An welchem Ort wurde Ihre Musik noch gespielt?

In Kulturhäusern, am Strand, in kleinen Lokalen, aber nicht an größeren Orten. Wir Musiker bekamen ein staatliches Gehalt, nicht als Musiker, sondern als Teil des Systems.

Haben Sie auch in Hotels gespielt?

Mit meiner Gruppe konnte ich nur in wenigen Hotels auftreten. Die neuen Gruppen, wie El Medico de la Salsa oder Isaac Delgado, durften in den großen Hotels spielen. Sie gehörten ihnen.

Wie ist die Situation jetzt?

Was heute auf Kuba fehlt, das sind Autoren, Songschreiber. Die Kubaner hören heute alle Arten von Musik. Früher, als ich jung war, gab es eine Menge guter Autoren, und es gab typische kubanische Musik. Heute ist das ein bißchen verlorengegangen, weil sie versuchen, fremde Musik von überall zu kopieren. Darum ist soviel amerikanische Musik zu hören auf Kuba, und soviel Salsa wird gemischt – weil es keine Autoren gibt, die richtige kubanische Musik machen. Sie kopieren nur.

Vor der Revolution gab es doch auch einen regen Austausch zwischen den USA und Kuba?

Vor der Revolution waren die Menschen auf Kuba offen für alle Arten von Musik, für Jazz zum Beispiel, aber: die kubanische Musik war stärker als alle anderen. Es gab einen starken Einfluß aus den Vereinigten Staaten, aber letztlich war es unverkennbar kubanische Musik. Es gab viele, viele Gruppen zu jener Zeit. Aber man konnte, wenn man die Augen schloß, unterscheiden, welche Gruppe es jeweils war. Das ist heute nicht mehr so.

Welchen Effekt, glauben Sie, hat Ihr Erfolg im Ausland auf die kubanische Musikszene?

Die Menschen in Europa kannten diese Musik nicht, und sie mögen sie. Die Menschen auf Kuba kennen die Musik, sie singen und verstehen sie, aber sie haben sie ignoriert. Ich denke aber, daß die Leute auf Kuba auch wieder diese Art von Musik hören werden. Nicht heute, nicht morgen, aber in der nahen Zukunft.

Interview: Daniel Bax ‚/B‘ Tour: 24. 6. München, 26. 6. Duisburg, 27. 6. Hamburg, 2. 7. Mainz