Deutschland – ein Alptraum

Dem Sudanesen Fathelrahman Abdallah droht nach der Aufhebung des Stopps heute die gewaltsame Abschiebung. In der Haft ist er allmählich durchgedreht    ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Fathelrahman Abdallah kauert in seiner Zelle am Boden, schlägt seinen Kopf gegen die Wand und kratzt sich am ganzen Körper. Sobald er Schritte und das Klappern der Schlüssel der Wärter hört, zieht er seinen ganzen Körper schmerzverkrümmt zusammen. Schweißausbrüche, Zittern an Händen und Beinen, dazwischen immer wieder mit leerer Stimme der Satz: „Sie wollen mich töten.“

Seit knapp elf Monaten sitzt der 27jährige Sudanese nun schon in Nürnberg in Abschiebehaft. Er hat panische Angst vor dem Transport zurück in sein Herkunftsland. Daß er überhaupt noch hier ist, hat er dem Erlaß von Bundesinnenminister Otto Schily zu verdanken. Nach dem Tod des Sudanesen Ageeb beim Flug nach Karthum vor einem Monat hatte Schily die Abschiebung von sich widersetzenden Flüchtlingen ausgesetzt. Gestern hob der Minister seine Anordnung wieder auf – Abdallah muß nun stündlich mit dem Abtransport rechnen.

Die Abschiebung würde, folgt man den Berichten von amnesty und sudanesischen Menschenrechtsorganisationen, den sicheren Tod für Abdallah bedeuten. Der heute 27jährige aus dem Nordsudan hatte sich in der Oppositionspartei DUP engagiert. Er wurde verfolgt, verhaftet und gefoltert.

Schläge, Elektroschocks und sexuelle Mißhandlungen gibt er später in Deutschland an, wohin er im März letzten Jahres per Flugzeug geflohen ist. Sein Asylantrag wird trotzdem als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Am 3. August kommt er in Abschiebehaft. Schon sechs Tage später soll er vom Flughafen München aus in seine Heimat abgeschoben werden. Abdallah wehrt sich so vehement, daß die Fluggesellschaft seinen Transport ablehnt. Das gleiche geschieht am 27. Oktober und am 12. November am Frankfurter Flughafen.

Nach jedem gescheiterten Versuch verlängert das Amtsgericht Nürnberg auf Antrag des Ausländeramtes die Abschiebehaft des Sudanesen. Sein Transport nach Frankfurt war schon vorbereitet, als Bundesinnenminister Schily solche Rücktransporte aussetzte.

Der Fall Abdallah wurde damit zum Politikum. Man werde notfalls den Sudanesen „auf eigene Faust“ (Innenminister Beckstein) mit Hilfe bayerischer Polizisten abschieben, ließ man in München die Muskeln spielen. Dann aber, nach der Innenministerkonferenz am 10. und 11. Juni in Dresden, änderte man die Marschroute. Als dort alle Länderinnenminister Schily dringend zur Rücknahme seines Erlasses rieten, nutzte die CSU-Staatsregierung fortan den Fall Abdallah als Hebel gegen Bonn. „Wir machen keinen Alleingang, die Bundesregierung ist in der Pflicht“, hieß es aus München. Wenn das Innenministerium den Abschiebestopp aufhebe, stehe man„schon in den Startlöchern“, um sofort zur Tat schreiten zu können.

Roger Kiel, Sprecher des Innenministeriums, hatte noch vor zwei Tagen gegenüber der taz behauptet: „Wir lassen uns nicht drängen.“ Es werde erst dann wieder gewaltsame Abschiebungen geben, wenn geklärt sei, wie es zum Tod des Sudanesen Ageeb kommen konnte. Nun hat Schily dem Druck der Bayern doch nachgegeben – obwohl seinem Ministerium nicht einmal das Obduktionsergebnis vorliegt.

Noch sitzt Abdallah in Abschiebehaft. In der Frage der Haft- und Reisefähigkeit des Sudanesen stützten sich die Gerichte auf einen ärztlichen Bericht der forensischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Ansbach. Dort hatte man Abdallah zunächst wochenlang ohne Dolmetscher befragt und sich stets gewundert, daß er auf so viele Fragen „weiß ich nicht“ geantwortet hatte. Abteilungschef Dr. Danner bescheinigte dem Sudanesen schließlich einen„guten psychischen Zustand“. Ulrike Voß, Mitarbeiterin der Initiative „Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg“, konnte sich noch am gleichen Tag von dessen „gutem Zustand“ überzeugen: „Abdallah weinte, fühlte sich verfolgt oder hörte irgendwelche Stimmen.“ Genau so fand auch der Psychologe und Familientherapeut Hafes Shalabi den Sudanesen am 7. Juni vor.„Nach meiner Einschätzung gleicht das Leben von Abdallah derzeit einem Alptraum“, resümmierte Shalabi.

Nachdem inzwischen auch Abdallahs Asylfolgeantrag letztinstanzlich abgelehnt wurde, hat der Anwalt des Sudanesen alle juristischen Register bis hin zur Verfassungsbeschwerde gezogen, um seinen Mandanten in letzter Minute vor der Abschiebung zu bewahren. Trotzdem: Wenn ihn der Gefängnisarzt heute schnell noch einmal untersucht und als „reisefähig“ bezeichnet, kann es sein, daß sie Abdallah schon heute ins Flugzeug nach Khartum setzen.