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„Vaterlandsverräter“ geht in die Öffentlichkeit

■ Der kurdische Kriegsdienstverweigerer Mehmet Cicek wagt sich aus dem Kirchenasyl in Emden

Ludwig Baumann (77), Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz ist extra aus Bremen zu einer Anti-Kriegsveranstaltung ins ostfriesische Aurich angereist. Er wollte letzte Woche die ersten Schritte von Mehmet Cicek (22) aus der Illegalität begleiten. Cicek ist Kurde. Er hat öffentlich den Kriegsdienst in der Türkei verweigert. Und er ist wahrscheinlich der erste kurdische Flüchtling in der BRD, der aus dem Kirchenasyl heraus um die Anerkennung seines Asyls in Deutschland kämpft. Sein erster Erfolg: Seit Montag letzter Woche wird Mehmet Cicek wegen „besonderer Gefährdung“ bis zur endgültigen Klärung seines Asylantrages vorläufig geduldet.

Nachdem viele Freunde des damals knapp 15jährigen von türkischem Militär erschossen worden waren, war Cicek 1992 nach Deutschland geflüchtet. Alle seine Asylanträge wurden von den deutschen Behörden abschlägig entschieden. Der Junge schien den Gerichten in der Türkei nicht gefährdet, obwohl die türkische Armee in seinem Heimatort an der syrischen Grenze gerade zahlreiche Kurden erschossen hatte. Kurz vor seiner drohenden Abschiebung tauchte Mehmet Cicek im Februar letzten Jahres unter. Dann erhielt er Kirchenasyl in der Emder evangelisch-reformierten Gemeinde. Von dort aus hat er seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich gemacht. Vor einer Woche sprach das Oldenburger Verwaltungsgericht wegen Cicek's „besonderer Gefährdung“ eine vorläufige „Duldung“ aus.

„Wir werden als Vaterlandsverräter und Feiglinge beschimpft, dabei gehört viel Mut dazu, sich der Kriegsmaschinerie zu entziehen,“ unterstützt der Bremer Ludwig Baumann den jungen Kurden. Baumann selbst hat es am eigenen Leib erfahren. Er ist 1942 aus der Nazi-Wehrmacht desertiert, wurde erwischt und eingesperrt. Bis heute kämpft Baumann für die Rehabilitation ehemaliger Deserteure und der vorbehaltslosen Aufhebung (ohne Einzelfallprüfung) der 30.000 Todesurteile gegen Deserteure des Zweiten Weltkrieges.

Beide, der 77jährige Baumann und der über 50 Jahre jüngere Cicek wirken nicht wie neue Helden. Bescheiden und ruhig berichten sie über ihren schweren Weg, der zu ihrer Kriegsdienstverweigerung geführt hat. Baumann hat für seine Entscheidung immerhin den Aachener Friedenspreis erhalten. Vor Cicek liegt eine ungewisse Zukunft. Vielleicht erhält er in Deutschland politisches Asyl. Wird er abgeschoben, drohen ihm in der Türkei eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und dann die Zwangsrekrutierung.

„Ich werde auf keinen Fall eine Waffe in Hand nehmen“, stellt der Kurde fest, „ich würde dann ein Regime verteidigen, das elementare Menschenrechte verletzt. Ich müßte auch gegen mein eigenes Volk kämpfen.“ Trotz seiner Bestimmtheit ist Cicek eher unpolitisch. „Unsere Sprache ist verboten. Unsere kurdischen Lieder dürfen wir nicht singen. Unsere Leute werden vertrieben, gefoltert und getötet. Das kann ich nicht verstehen,“ so umschreibt Cicek seine Kriegsdienstverweigerung.

Die Initiative „Connection“ in Offenbach betreut in Deutschland ausländische Kriegsdiensverweigerer. Rudi Friedrich von Connection: „Mehmet ist doppelt gefährdet. Als Kriegsdienstgegner drohen ihm eine Haftstrafe und als Kurde eine Verurteilung wegen Separatismus. Es ist eine Schande für Deutschland, das solche Menschen nicht grundsätzlich vor Verfolgung geschützt werden.“ Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann kann dem nur beipflichten: „Wer sich als Deserteur der Kriegsmaschinerie von Armeen selbst totalitärer Systeme entzieht, wird überall kriminalisiert.“ Thomas Schumacher

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