Am Ende der Zukunft

■ Verspieltes und deftiges Volkstheater: Alexandru Dabijas „Saragossa – 66 Tage“

Das Programmheft hatte nicht zuviel versprochen. Jedenfalls numerisch nicht. Dreimal beschwört die Inhaltszusammenfassung von „Saragossa – 66 Tage“ orientalische Sinnlichkeit/Liebesnacht/Liebesfest, wiederholt ist von Versuchung, erotischen Untertönen und „den Araberinnen“ die Rede. Es hätte den erwartungsfrohen Besucher aber schon stutzig machen können, daß selbiges Programmheft Madrid in den Süden Spaniens verlegt. So dicht wie die kastilianische Hauptstadt am Mittelmeer ist denn auch das „internationale Epos über Halbblütigkeit und Toleranz“ an komplexer sinnlicher Faszination.

Der rumänische Regisseur Alexandru Dabija hat in Koproduktion des Theaters der Welt mit seinem Bukarester Odeon Theater eine Bühnenfassung von Jan Graf Potockis Roman „Die Handschrift von Saragossa“ erstellt. Unter der stockkonservativen Prämisse, daß das Theater am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nichts mehr erfinden könne, hat er die zweihundert Jahre alte romantisch-phantastische Geschichte romantisch, phantastisch und ältlich inszeniert.

23 historisch kostümierte Schauspieler in etwa dreimal so vielen Rollen begeben sich mit dem Protagonisten auf eine Reise durch die religiösen Irrungen und Wirrungen des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Der katholische Offizier Alfons von Worden wurde zum Erben eines mohammedanischen Geschlechts bestimmt, weiß aber nichts davon. Erschwerend kommt hinzu, daß er erst zum Islam bekehrt werden muß; erleichternd hingegen, daß die Mohammedaner ein Völkchen gewitzer Schauspieler sind.

Während sie dem Bibeltreuen 66 Tage lang Juden, Zigeuner und die Heilige Inquisition vorgaukeln, gibt Dabija mittels einer Bühne auf der Bühne einen theatralischen Schnelldurchlauf in Sachen Commedia dell'arte, Komödie, Pantomime und Akrobatik. Allein Stilgemisch könne heute noch einen Schatten von Originalität erbringen, lautet seine These, und man könnte meinen, der 44jährige wollte damit so nebenbei die Postmoderne erfinden.

Weit gefehlt. Dabija macht Volkstheater, verspielt und deftig. Alte sind hier zittrig, Adlige mutig, Wissenschaftler schusselig, Frauen schön und alle geil.

Grenzen überschreiten will das Theater der Welt, ohne spezifische kulturelle Identitäten zu leugnen. Doch auch der westeuropäische Zuschauer kann sich seiner Konditionierung nicht entziehen, und seine Seherfahrung zeigt ihm in „Saragossa“ weniger das andere als das Altbackene.

Der feinste Witz rührte von einer technischen Fehlleistung, als nach etwa zwei Stunden das Übertitelungsband stehenblieb. „Alle sind wir eitel und unnütz. Auch ich bleibe hier sitzen“ war da minutenlang zu lesen, während auf der Bühne nun gänzlich unverständig gehüpft, gevögelt und gekreischt wurde. Mit der Übertitelung auf die Metaebene: Das nennen wir Dekonstruktion.

Christiane Kühl