Eisgekühlte Magie

Die Ballett-Tage eröffneten mit Mats Ek, Nacho Duato – und Bravour  ■ Von Gisela Sonnenburg

Ballett: eine sterbende Kunst? Das sogenannte Hamburger Ballettwunder: in Stagnation erstarrt? Nein, das wäre nur die halbe Wahrheit. Die Premiere mit dem schlichten Titel Ballettabend Ek/Duato zeigte, daß die mit ihr eröffneten 25. Hamburger Ballett-Tage auch Hochanspruchsvolle überraschen können.

Die Delikatesse des Abends ist der Mittelteil. Remanso, angeregt durch Gedichte von Federico Garciá Lorca, ist zwar nur zwanzig Minuten lang, aber ein kleines Gesamtkunstwerk. Nacho Duato, eine der wenigen internationalen Hoffnungen auf choreographischen Nachwuchs, schuf selbst auch Kostüme und Bühnenbild für sein Tänzertrio Ivan Urban, Carsten Jung und Jirí Bubenicek.

Uraufgeführt wurde der Pas-de-trois-mit-roter-Rose bereits vor zwei Jahren in New York; eine erweiterte Fassung premierte letztes Jahr in Madrid. Wir bekommen die knackige Kurzform serviert – und beschweren uns darüber nicht, denn so viel Kurzweil auf so hohem Niveau ist rar. Schade nur, daß die Klaviermusik, die poetischen Walzer von Enrique Granados, statt live vom Band perlt.

Eine Wand auf der sonst kahlen Bühne dient als Skulptur, auch als Sichtblende – und wird farbig angestrahlt. Die Solisten sind in diesem Environment wie quicklebendige Statuen, die das Arrangement in Besitz nehmen. Wie immer ist Duato Nacho sehr kreativ im Erdenken neuer Schritte, die das Grundrepertoire der Klassik und Moderne bereichern.

So gibt es eine spektakuläre Sprunglandung auf einem Bein, während welcher der Tänzer den Fuß seines zweiten Beins selbst auffängt. Zu zweit und zu dritt konfigurieren die Körper von Koketterie und Ironie aufgeladene Beziehungsklüngel, klinken sich in die an bildende Kunst erinnernde Situation mit der Wand ein, turnen an ihr, bilden Assemblagen, verstecken sich neckisch hinter ihr.

Eine rote Rose kommt – wie Beuys schon deklarierte: „Ohne Rose geht es nicht!“ – als Symbol für Hoffnung, Liebe, Glaube, für einen spielerischen Umgang mit humanistischen Idealen dazu: Ein Tänzer trägt sie im Mund, als habe er sie soeben in einem Vorgarten gepflückt – oder war es doch im Garten Eden? Er tanzt mit ihr, reicht sie weiter, und man ist fast verwundert, daß der knallige, auch an Blut gemahnende Farbfleck keine Spuren hinterläßt.

Es ist eisgekühlte Magie, sehr zeitgemäßes Tanztheater, womit Duato die Ballettomanen verzaubert. Und er hat mit den fantastischen Hamburger Tänzern das entsprechende Instrument.

Letzteres läßt sich auch zu den beiden, Duatos Stück umrahmenden Balletten von Mats Ek sagen, denn die Neumeiersche Truppe ist top in Form. Allerdings sind die Lichtgestalten von 1991 zu geschmäcklerisch, um nicht langatmig zu sein; und das den Abend beendende Sie war schwarz, auch schon vier Jahre alt, leidet unter mangelnder Frische. Das mag an den Einstudierungen liegen, die Ek nicht selbst vornahm. Manch choreographischer Witz wird hier zu ernst genommen, kippt gar ins Pathetische.

Kein Wunder, daß ein Teil des Publikums die Stücke, auch ihre sehr wohl vorhandene Brisanz, nicht verstand. So kreist das Schlußstück um Gott, der hier, mit dem Tod gleichgesetzt, ein Pierrot ist, mal Frau, mal Mann, aber immer sur le pointe. Zugrunde liegt der berühmte ironische Gottesbeweis: „God is a she and black.“ Zwischen den das pralle Leben darstellenden Ensembleszenen tanzt Gott seine Soli, und am Ende kriecht eine erweckte Leiche aus ihrem Sack, bietet einen gleichermaßen ernüchternden wie amüsanten Totentanz.

Seine Gemeinde feierte den großen Schweden Ek frenetisch, wie es sich für ein Festivalpublikum gehört. Was nicht darüber hinwegtäuscht, daß viele hübsche kleine Ideen noch längst kein stimmiges großes Ganzes ergeben.

noch heute und am 10. Juli, 19.30 Uhr, Staatsoper