Wurmstichiger Wagner

■ Der „Tag danach“: Eine Klanginstallation von Christian Boltanski, Ilya Kabakov und Jean Kalman in Beelitz

Armes Bayreuth. Einen so schön wurmstichigen Wagner, wie ihn Christian Boltanski, Ilya Kabakov und Jean Kalman in den verfallenen Pavillons des ehemaligen Sanatoriums von Beelitz hingekriegt haben, schaffen die nie. „Totale Bastelarbeit“ nannten die Spezialisten einer Ästhetik des Understatements und der Beiläufigkeit ihre Auseinandersetzung mit dem monumentalen Gestus von Wagners Ring. Dem „Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“ ließen sie den „Tag danach“ folgen: Die Schöpfung ist beendet, der Fortschrittsglaube aufgebraucht. Vom kleinen Bahnhof Beelitz Heilstätten aus ergoß sich der Zug der Festivalreisenden im Stundentakt zwischen Badehaus, Kapelle und Pavillons. Entzückt zeigte man sich über Turmhauben und Dachreiter, Erker und Terrassen in der Architektur der Jahrhundertwende.

Berliner Galeristen schoben brav ihre Kinderwagen vor sich her, kleine Trupps von Kulturfunktionären brachen durchs Gebüsch der zugewachsenen Wege, und viele schleppten ziemlich schwer an ihren Kameras. Volle Picknickkörbe wurden verkauft, und bald saß man auf langen Bänken im Freien, zwischen Bier und Wurst. Nur ganz nebenbei hörte man Fetzen von verwehtem Wagner.

Von außen gleichen die Sanatoriumsgebäude einer vergessenen Gartenstadt des Jugendstils, innen aber erschreckt der Verfall. In so dicken Krusten blättern die Farbschichten von den Wänden, daß man sich wie in feuchten Grotten fühlt. Die Räume, die noch bis 1991 als größtes sowjetisches Krankenhaus außerhalb Rußlands von der Roten Armee genutzt wurden, erzählen von einer Niederlage. „Wir haben zu diesen Ruinen noch keine Distanz“, sagt Ilya Kabakov dazu. Der Zerfall der Macht, die einen großen Soldaten aus Stein hinterlassen hat, dauert noch immer an.

Eine brüchige Stimme probt Wagner, durch das offene Fenster hört man draußen die Anstrengung. Auf einem alten Sofa warten die pensionierten Sänger respektvoll den Kampf der Kollegin ab. Die Böden der angrenzenden Räume sind mit Blumen bedeckt, Reverenz an das Opernhafte und Geste des Abschieds.

Unter der Kuppel des Badehauses verdunstet die Rheingold-Ouvertüre in feuchtem Dampf; die Götterdämmerung dröhnt über den unterirdischen Gruben im Heizkesselhaus, und mit Siegfried durchschreitet man fast wie in einer Prozession eine lange Galerie zwischen leeren Stühlen und leeren Mänteln. Man wird von der Musik gelockt, weitergetrieben, horcht, wie sie sich in Treppenhäusern verliert, und verläßt sie wieder; nie aber ist man, wie im Theater, ihrer Macht bewegungslos ausgeliefert. So erzählt dieses „Wagnerland“, wie der Lichtdesigner Kalman das Kollektivprojekt nannte, vom Wunsch des totalen Ergriffenseins und Hinweggespültwerdens in der Form der Vergangenheit.

Die Musik wird vorgeführt wie ein veraltetes Instrument der Repräsentation, das jetzt wie eine Spielzeugeisenbahn immer neu aufgezogen und zum Fahren im Kreis verdonnert wird.

Es gibt keinen Anfang und kein Ende in dieser Inszenierung, die Zeit tritt auf der Stelle. Alles ist vergeblich: die Emotionen, die Revolutionen, die Utopien. Das teilt die Musik mit der Geschichte des Ortes. Was geblieben ist, bekommt der Investor, dank dessen Unterstützung das zweitägige Spektakel in Beelitz stattfinden konnte.

Katrin Bettina Müller