Warten auf das Erwachen der Scham

Sommerpause im Essener Hooligan-Prozeß: Statt Reue bestimmt gewiefte Taktik das Verhalten der Angeklagten  ■   Von Gisa Funck

Essen (taz) – Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem schändlichen Verbrechen ist im Essener „Hooligan-Prozeß“ die Halbzeit eingeläutet worden. Bis Mitte Juli dürfen die vier angeklagten Fußballfans pausieren, die den Gendarm Daniel Nivel am Spätnachmittag des 21. Juni 1998 in Lens fast zu Tode geprügelt haben sollen. Bis Mitte Juli werden ihre Verteidiger nach neuen Strategien suchen, um sie von dem Vorwurf der schweren Körperverletzung, des schweren Landfriedensbruchs und versuchten Mordes zu entlasten.

Eines aber steht jetzt bereits fest: Jeder der vier hat mitgemischt, als es darum ging, Daniel Nivel „platt zu machen“, wie das verharmlosend im Szenejargon heißt. Im Klartext: Auf den bewußtlosen, unbehelmten, wehrlos daliegenden Polizisten so hemmungslos einzudreschen, daß dieser sechs Wochen im Koma lag und lebenslang an den Folgen seiner Mißhandlung leiden wird.

Besondere Zeichen von Reue aber legt keiner der vier mutmaßlichen Täter in Essen an den Tag. Im Gegenteil.

Je weiter der Prozeß voranschritt, desto mehr hatte man den Eindruck, als würden zumindest drei der vier Beschuldigten ihre traurige Popularität auch genießen. Da grinsten sich der Gelsenkirchener Frank Renger und der Hamburger Tobias Reifschläger auf der Anklagebank immer öfter an, und der Magdeburger Christopher Rauch schnitt gern Grimassen für seine Verteidiger und die hübsch zurechtgemachte Freundin im Publikum.

Weil vor allem sein Gehabe so gar nicht zum Bild des reuigen Sünders paßt, zieht der 24jährige Elektriker aus reichem Elternhaus die meisten Antipathien auf sich. Eingerahmt von gleich drei Verteidigern, erscheint Rauch stets in topmodischen Anzügen und mit Krawatte, lächelt und spart sich bislang jedes Wort, jede Geste eines Bedauerns, obwohl ihm Schlimmes vorgeworfen wird. Viermal soll er mit einem gesplitterten Straßenschild auf den Kopf Nivels eingedroschen haben. „Äußerst flach, dann Kante, flach, Kante“, so schilderte es ein arbeitsloser Jugendlicher aus Wien, der sich seine Stütze mit der zweifelhaften Tätigkeit aufbessert, Hooligans bei ihren Prügeleien zu knipsen. Auch bei der Bluttat von Lens hat dieser Voyeur des Grauens auf den Auslöser gedrückt. Es sind seine und die Fotos eines anderen Hobby-Fotografen, auf die sich die Essener Anklage in der Hauptsache stützt.

Christopher Rauch ist jedoch auf keinem der Bilder zu sehen. Da ihn außer dem jungen Wiener kein weiterer Zeuge belastet, spekuliert der Dandy-Hool offenbar auf einen Freispruch. Nicht ohne Aussicht auf Erfolg. „Es wird schwierig werden, Rauch den Vorwurf der Anklage nachzuweisen“, räsoniert Nebenkläger Harald Wostry bereits bitter.

Ebenfalls kompliziert gestaltet sich die Beweisführung im Fall Renger und Reifschläger. Zwar sind beide Hooligans auf den Fotos zu erkennen und haben schnell gestanden, den Gendarm ein- bis zweimal getreten zu haben. Doch stilisieren sie sich zu Zufallstätern, die sich zu ihren Tritten nur hätten „hinreißen“ lassen. Von brutalen Kicks mit dem Stiefelabsatz gegen Nivels Kopf, wie man sie ihnen vorhält, wollen beide nichts wissen.

Zusätzlich versuchen ihre Anwälte das Strafmaß nach der Sommerpause durch psychiatrische Gutachten zu drücken, wonach ihre Mandanten im Sog der Gruppendynamik nur „eingeschränkt schuldfähig“ gewesen seien.

So sieht es einzig für den Schalke-Fan Andre Zawacki schwarz aus. Dreimal, das bestätigen gleich mehrere Beobachter, soll der 28jährige Gelsenkirchener mit einem 47 Zentimeter langen, metallenen Gewehraufsatz „wie ein Wahnsinniger“ auf Nivel eingeschlagen haben. Zawacki selbst schweigt noch zu solchen Sätzen und blickt zerknirscht vor sich hin.

Für einen Moment hielten auch Renger und Reifschläger inne, als das Opfer Daniel Nivel persönlich zum Prozeß erschien. Als seine Ehefrau Laurette Nivel dem Gericht sehr nüchtern und gerade deshalb eindringlich erzählte, wie aus dem 44jährigen Familienvater innerhalb von 90 Sekunden ein hilfloser Krüppel wurde, der heute kaum sehen, hören, sprechen kann, und nur mit Mühe ganze Sätze versteht. „Seit diesem Tag ist sein Leben nicht mehr sein Leben.“

Im Saal herrschte darauf Schweigen. Renger verbarg Tränen hinter seinen Händen, Zawakki und Reifschläger wagten betroffen kaum einen Blick in Richtung Nivel.

Nur Christopher Rauch grinste seine Anwälte an. So wie immer.

Mehr und mehr scheint es, als würden zumindest drei der vier Angeklagten ihre traurige Popularität auch genießen.