Täglich werden Menschen zerfetzt

Moderne Minenräumfahrzeuge sind nur sehr begrenzt einsetzbar. 80 Prozent der Minen im Kosovo müssen mühsam per Handsuchgerät aufgespürt werden  ■   Von Annette Jensen

Der Krieg im Kosovo ist zu Ende und dennoch verlieren weiterhin viele Menschen ihr Leben. Erst gestern wurde gemeldet, ein Familienvater sei bei einem Minenunfall umgekommen. Sein Kind wurde verletzt. Die internationale Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ berichtet, daß täglich drei bis vier Menschen von Minen und liegengebliebenen Sprengkörpern zerfetzt werden.

Serbische Militärs und Paramilitärs und zum Teil auch die UÇK-Kämpfer haben vermutlich Hunderttausende von Minen in den vergangenen Monaten vergraben. Immer wieder stoßen die heimkehrenden Flüchtlinge auch auf Sprengfallen in ihren Häusern. Das Drücken des Lichtschalters oder die Berührung eines kaum sichtbaren Drahts kann das Leben kosten.

Aber auch von den Splitterbomben der Nato geht nach wie vor eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung und die KFOR-Truppen aus. Denn selbst der Hersteller der massiv eingesetzen Streubomben vom Typ CBU-87 räumt ein, daß die Blindgängerquote bei fünf bis zwölf Prozent liegt.

Einige Experten halten das für deutlich untertrieben. Geschätzt wird, daß im ehemaligen Kriegsgebiet etwa 11.000 nicht explodierte Sprengkörper der Nato herumliegen. „Die wirken wie Minen“, sagt Thomas Küchenmeister vom Berliner Institut für Transatlantische Sicherheit (BITS). Deshalb fordert die 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete „Internationale Kampagne zur Ächtung von Landminen“, auch solche Waffen durch einen internationalen Vertrag zu bannen.

„Christian Science Monitor“ berichtete vor kurzem, daß fünf Kinder eine wie eine Getränkedose aussehende Nato-Munition entdeckten und beim Versuch, sie zu öffnen, zerrissen wurden. Auch die beiden in Negrovce südwestlich von Priština getöteten britischen KFOR-Soldaten sowie zwei UÇK-Kämpfer wurden Opfer der Nato-Munition, als sie ein Schulgelände räumen wollten. Sie hatten bereits 50 Sprengkörper zusammengetragen, als einer explodierte.

Die Oberkommandierenden der KFOR-Truppen rechnen damit, daß die Räumung der Minen im Kosovo drei bis fünf Jahre dauern wird. Die militärische Räumung, bei der gepanzerte Fahrzeuge die Minen zur Seite schleudern, macht nur die Straßen passierbar.

Mehrfach berichtet wurde von serbischen Minen, die mit Sensoren ausgestattet sind, welche auf Licht oder Wärme reagieren. Sie sind einige Handbreit mit Erde bedeckt und explodieren, sobald jemand zu graben beginnt und Tageslicht einfällt. Zwar haben die Serben schon einige Pläne übergeben, in denen die Lage von Minenfeldern eingezeichnet ist. Doch sie sollen ungenau sein, heißt es.

Die Minenräumung findet unter UNO-Aufsicht statt. Dieser Tage wird in Priština das „Mine Action Center“ eröffnet. Auch zwei deutsche Minensuchfahrzeuge sollen zum Einsatz kommen. Der „Minebreaker 2000“ wird von dem Unternehmen Flensburger Fahrzeugbau hergestellt, einem Tochterunternehmen der Rüstungsschmiede Diehl. Dabei handelt es sich um einen umgebauten Leopard-I -Panzer, dem eine hydraulisch angetriebene Fräswalze vorgebaut ist.

Der „Rhino“ von Rheinmetall wird dagegen ferngesteuert. Der Hersteller beschreibt eine Vorführung des Geräts vor kurzem in der Lüneburger Heide so: „Staunende Blicke und eine faszinierte, ungeteilte Aufmerksamkeit unter den Zuschauern löst er schon aus: Wenn der Rhino sich bis zu 50 Zentimeter tief durch den Boden gräbt und dabei das gesamte Erdreich durch seine zwei gegenläufig drehenden Walzen zerkleinert, bleiben nur Teilchen in der Größe von wenigen Zentimetern übrig.“

Bis zu 15.000 Quadratmeter am Tag soll der Rhino von Minen säubern können. Ob die Sache wirklich funktioniert, konnten die Zuschauer allerdings nicht beurteilen, weil nur Minenattrapen herumlagen. „Lächerlich“ kommentiert denn auch Waffenexperte Küchenmeister die Show. Er geht davon aus, daß gerade die lichtempfindlichen Minen häufig eine hohe Sprengkraft haben und auch ein Fahrzeug wie den Rhino deutlich beschädigen können.

Derart schweres Gerät ist aber sowieso im Kosovo vielerorts nicht einsetzbar, weil die Topografie des Geländes es nicht zuläßt. Hilfsorganisationen gehen davon aus, daß nur etwa 20 Prozent der betroffenen Gebiete sich auf diese Weise räumen lassen. Außerdem ist die Gefahr der Erosion nach einer solchen Umpflügeaktion sehr groß. Deshalb werden auch im Kosovo wieder Spezialtrupps mit Handsuchgeräten Zentimeter für Zentimeter absuchen müssen. Auch Minensuchhunde, die Sprengstoff erschnüffeln können, kommen zum Einsatz.

Die britische „Mines Advisory Group“ hat bereits 16 Experten aus Kambodscha abgezogen und in den Kosovo geschickt. Auch die deutsche Organisation Help sowie Handicap International wollen sich engagieren.