Kommentar
: Ausnahmen bestätigen die Regel

■ Schluß mit dem Ladenschluß

Die Unternehmen haben sich durchgesetzt. Der Senat hat gestern dem Ladenschluß den Todesstoß versetzt – Dussmann sei dank. Nicht nur der Medienunternehmer von der Friedrichstraße, sondern auch seine Kollegen vom Potsdamer Platz haben so lange rumgenervt, bis die PolitikerInnen weichgekocht waren. Doch auch die VerbraucherInnen pochten auf ihr Staatsbürgerrecht auf Konsum und unterschrieben Dussmanns Protestlisten gegen die Einkaufsbeschränkung. So gesehen, hat sich der Senat dem Zeitgeist gebeugt, der das Individuum als Wirtschaftssubjekt definiert.

Bei den sogenannten „Ausnahmeregelungen“ handelt es sich in Wirklichkeit um einen Dammbruch, den man notdürftig in die bestehende Rechtslage einpaßt. Außer in „touristischen“ Gebieten untersagt das Ladenschlußgesetz bisher, die Geschäfte am Sonntag zu öffnen. Also definiert der Senat große Teile der Innenstadt kurzerhand als Tourismuszentren. In Wirklichkeit werden die nahezu unbegrenzten Öffnungszeiten damit von der Ausnahme zur Regel. Die Einschränkungen der Einkaufsmöglichkeiten am Wochenende – nur Erfrischungen und Lebensmittel, keine Schuhe und Seidentücher – dürften sich bald als Makulatur erweisen. Denn wer will dem Kaufhaus Lafayette etwa verbieten, zum Käse auch die Porzellanschale zu verkaufen?

Wenn hier also unter der Hand neues Recht geschaffen wird, stellt sich die Frage, warum es nicht für alle gelten soll. Was sagt der Senat dem Händler auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße oder der Schöneberger Hauptstraße? Mit der partiellen Liberalisierung schafft man zwei Klassen von Geschäften: die einen profitieren, die anderen nicht. Damit verschärfen sich auch alte Polarisierungen zwischen den städtischen Zentren und den teilweise notleidenden Subzentren in den Stadtteilen. Letztere bleiben auf die ortsansässige Kundschaft mit ihren oft mageren Einkommen verwiesen, während die Elite der Kaufleute in der City die in der Regel zahlungsfreudigen TouristInnen abkassiert. Wenn der Senat schon liberalisieren will, dann hätte er seinen Mut zusammennehmen und die Ausnahme flächendeckend ausdehnen müssen. Hannes Koch

Bericht Seite 20