Den Verbrechen auf der Spur

Erste Expertenteams versuchen, Kriegsverbrechen im Kosovo aufzudecken. Auch KFOR ist beteiligt, hat aber zuwenig Personal, um allen Hinweisen nachzugehen  ■   Aus Prizren Erich Rathfelder

Die Maschinen stehen still, die Gebäude der Gummifabrik Ballkan in Suva Reka sind verlassen. Das Gelände erscheint von außen unversehrt. Obwohl hier heftige Kämpfe stattgefunden haben, waren wohl beide Seiten, die serbische wie die albanische, interessiert, die Fabrik nicht zu beschädigen. Hier wurden vor dem Krieg Förderbänder hergestellt, Keilriemen für die Autoindustrie und anderes mehr. 2.000 Arbeiter waren hier beschäftigt. Einige sind zurückgekehrt, albanische Facharbeiter, von denen viele Anfang der 90er Jahre das Werk verlassen mußten.

Der Grund, weshalb ein Team aus Den Haag und zwei Journalisten sich hier eingefunden haben, hat jedoch nichts mit der Instandsetzung des Werkes zu tun. Sie wollen Gerüchten und Zeugenaussagen nachgehen, in den Verbrennungsöfen hier seien die Leichen ermordeter Albaner verbrannt worden. Ein Fahrer, ein sogenannter loyaler Albaner, sagte aus, zwei Transporte mit Leichen an diesen Ort gebracht zu haben. In der Umgebung lebende Albaner erklärten, daß nach der Ankunft des Lastwagens dunkler Rauch aufgestiegen sei, der einen ungewöhnlichen Geruch verbreitete.

Die drei riesigen Öfen werden inspiziert und die Luken geöffnet. Ein Blick in das Innere läßt auf nichts Ungewöhnliches schließen. Dies bedeute aber nicht, daß hier nicht doch Menschen verbrannt worden sind, sagen die Experten. 30 bis 40 Personen könnte so ein Ofen fassen, bei 800 Grad würden keine Spuren mehr zu sehen sein. Ob hier Menschen beseitigt worden sind, könne man wohl nur durch die Vernehmung der Beteiligten herausfinden.

Doch die hier beschäftigen Serben sind längst in Serbien. Daß gerade jene, die mit Verbrechen zu tun gehabt haben, sich noch im Kosovo aufhielten, sei ohnehin unwahrscheinlich.

Viele Gräber sind selbst der KFOR unbekannt

Die Spuren zu sichern, allen Hinweisen nachzugehen, ist nun Aufgabe der Expertenteams, die für die Aufklärung der Verbrechen in das Kosovo entsandt worden sind. Allein in der Region um Prizren sind zwei Teams aus Den Haag tätig, weitere sollen bald hinzukommen. Auch andere Institutionen wollen Experten senden. Die KFOR-Truppen haben Offiziere und Mannschaften abgestellt, die die Massengräber sichern sollen.

Noch reicht das nicht aus, die Verbrechen aufzuklären. Viele Gräber sind selbst den KFOR-Truppen unbekannt. Journalisten stoßen immer wieder auf Stellen, die der Untersuchung bedürfen und von den KFOR-Truppen oder den Expertenteams noch nicht registriert wurden. So im Dorf Celina. Bewohner berichteten, daß sie hier im März 1999 20 von Serben ermordete Frauen und Kinder in einem Massengrab bestattet hätten.

Die Brunnen in manchen Dörfern sind durch Unrat oder Autos zugedeckt. In dem Dorf Magyar bei Malishevo sind die bis zu 40 Meter tiefen Brunnen durch Motorenöl vergiftet. Traktoren ragen aus den Öffnungen. Dorfbewohner sagen, daß auf dem Brunnenboden Leichen liegen. Die KFOR ist personell überfordert. Niemand ist bisher hierhergekommen.

Auch in dem nahe Rahovec ( serb. Orahovac) gelegenen Dorf Pustasel, wo 106 Menschen massakriert worden sein sollen, ist noch kein Untersuchungsteam aufgetaucht. Am 31. März 1999 sei das Dorf von Armee, Polizeikräften und Paramilitärs umstellt worden. Sie hätten mit Artillerie geschossen, erklärten Xhemile Krasniqi und Sadete Kastrati schon im Mai in einem Flüchtlingslager in der albanischen Stadt Kukes gegenüber dem Reporter. Viele junge Männer aus dem Dorf seien in die Berge geflohen. Dann seien die bewaffneten Männer in das Dorf gekommen, hätten Frauen, Kinder und die älteren Männer getrennt. Die Männer seien geschlagen und abgeführt worden, insgesamt 114 Personen. Wenig später sei geschossen worden. 104 Menschen seien ermordet worden, zehn hätten überlebt. Sie diktierten damals noch die Namen von 54 Ermordeten, meist Mitglieder der Familien Krasniqi und Kastrati.

Viele Kritiker zweifelten damals die Glaubwürdigkeit der Flüchtlinge an. Dazu hat auch beigetragen, daß die internationalen Organisationen sehr vorsichtig waren, über ihre Erkenntnisse Auskunft zu geben. Befragungsexperten der Bundeswehr hatten schon in Makedonien systematisch Zeugen befragt, Teams aus Den Haag waren in den Lagern unterwegs, Menschenrechtsorganisationen suchten in dem Gewimmel der Flüchtlinge nach Interviewpartnern. Organisationen wie Human Rights Watch veröffentlichten einige der Erkenntnisse, so jene über Vergewaltigungen, die meisten Organisationen hielten sich aber zurück. Die Nato-Militärs hüllten sich in Schweigen. Als dann aber doch ein Satellitenfoto mit einer Doppelreihe von Gräbern veröffentlicht wurde, war dies eine Sensation. Das Luftbild zeigte die Gräber in Pustasel.

Jetzt ist die Stelle, wo das Massaker stattgefunden hat, zu besichtigen. Islam Krasniqi, ein weitläufig Verwandter Xhemiles, führt die Besucher an die Stellen. Er und andere Zeugen bestätigen die Darstellung der beiden Frauen. Es seien nicht 104, sondern 106 Tote gewesen, korrigiert Islam, 40 aus Pustasel und 66 aus anderen Dörfern. Die Männer seien von dieser Wiese inmitten des Dorfes in vier Gruppen an den Bach geführt worden, der unterhalb des an einem Hang gelegenen Dorfes fließt. Dort seien sie von Polizisten und Paramilitärs erschossen worden.

In der zweiten Gruppe befanden sich die Brüder Avdyl Goni und Berham Soli Krasniqi, 57 und 63 Jahre alt. Beide überlebten das Massaker wie noch acht andere Männer. Sie hatten Glück, weil sie, durch die Leichen anderer verdeckt, nach Einbruch der Dunkelheit davonkriechen konnten.

Gräber wurden geöffnet, die Leichen weggebracht

Bei den Folterungen und Erschießungen besonders hervorgetan habe sich ein Serbe aus Orahovac mit dem Spitznamen Demci, ein Briefträger, der zum Sonderpolizisten aufgestiegen war, sagen die Überlebenden. Die Soldaten und Paramilitärs verschwanden nach dem Massaker. Die Frauen und einige Männer kamen in das Dorf zurück. Sie begruben die Leichen in Reihen inmitten des Dorfes, die auf dem Satellitenbild der Nato abgebildet sind. Ende April kamen die Soldaten zurück. Die Dorfbewohner flohen. Aus der Ferne beobachteten sie, wie die Gräber geöffnet und die Leichen in Plastiksäcke verpackt auf Lastwagen weggebracht wurden.

Auf dem Friedhof von Rahovec (Orahovac) findet sich eine Spur der Leichen aus Pustasel. In Gruppen von je fünf bis sechs Einzelgräbern liegen 35 Leichen aus Pustasel, genau unterhalb der Massengräber des Massakers von Orahovac vom Juli 1998. So behaupten es jedenfalls die Arbeiter Fadil Rustemi, Flamur Kayezi und Enver Hamza. Sie hätten bei der Bestattung helfen müssen. Unter der Aufsicht der Serben Sergej und Vitko Stolig sowie Sreten Popovic aus Velika Hodscha hätten sie diese Gräber ausgehoben. Die Gräber sind mit Nummern versehen. Bei wenigen ist ein Name auf das Holz gekritzelt: Hasan Bajraj und Kadri Bajraj stammen aus Pustasel. In dem Dorf Zrze sollen noch 15 Männer aus Pustasel begraben sein, vielleicht auch noch einige in Rugove, so sagen die Totengräber. Das sind Dörfer, die nur wenige Kilometer entfernt in Richtung Prizren liegen. Wo die anderen Leichen sind, wüßten sie nicht.

Der für zivile Angelegenheiten zuständige Offizier der niederländischen KFOR-Truppen ist überrascht. In dem ehemaligen Büro der OSZE in Rahovec nimmt er den Bericht des Journalisten entgegen. Er werde sich nach Rücksprache mit seinen Vorgesetzten darum kümmern. Bald würden neue Untersuchungsteams eintreffen, jetzt aber habe er kein Personal, um der Sache nachzugehen.