Nie wieder Bumm: Becker hört auf

Boris Becker verläßt nach einer deftigen Niederlage gegen Patrick Rafter mit hängendem Kopf sein Wohnzimmer und beschließt, nie mehr zu spielen    ■ Aus Wimbledon Matti Lieske

Mit hocherhobenen Armen stand Boris Becker auf dem Centre Court von Wimbledon, nahm huldvoll die begeisterten Ovationen der Massen entgegen, und man hätte meinen können, er habe schließlich doch noch seinen vierten Wimbledonsieg geschafft. Doch der Schein trog. Das Achtelfinale gegen Patrick Rafter, sein letztes Match an der Stätte, wo er vor vierzehn Jahren schlagartigen Weltruhm erobert hatte, sein letztes Match als Tennisprofi überhaupt, war am Mittwoch recht schmucklos mit 3:6, 2:6, 3:6 verlorengegangen. „Er war eine Klasse besser und hat mich ausgespielt“, mußte Becker anschließend zugeben, „es ist Zeit zu gehen.“ Darum sei dies nicht nur sein Abschied von Wimbledon gewesen, sondern der Abschluß seiner Karriere. Der geplante Auftritt beim Stuttgarter Weissenhof-Turnier werde nicht mehr stattfinden.

Das erträumte Farewell war die Partie gegen Rafter ganz gewiß nicht, was vor allem an den perfiden Returns des 26jährigen Weltranglistenzweiten und an der mangelnden Aufschlagstärke Beckers lag. Einer der klügsten Tennisanalytiker, der in Wimbledon herumläuft, ist Andre Agassi. Dieser hat kürzlich verraten, welches der wichtigste Schlag auf dem schnellen Rasen des All England Lawn Tennis Club im Südwesten Londons ist. Nicht der Aufschlag, nicht der Return, den er selbst so unnachahmlich beherrscht, nicht der Volley, der hier mehr gespielt werden muß als irgendwo anders, sondern – Überraschung – der zweite Aufschlag. Und der hatte Becker gestern verlassen.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Wie in den Partien zuvor war ihm gleich im ersten Satz ein frühes Break gelungen, und die Szenerie hätte nicht symbolischer sein können. Kaum war die Sonne hinter den Wolken hervorgekrochen, da holte Becker mit einem fulminanten Passierschlag seinen ersten Breakpoint, den er zum 2:1 verwandelte. Vorher hatte das immer gereicht, doch diesmal hielt sein eigenes Service nicht stand, und es half ihm wenig, daß er Rafter in jedem Satz einmal den Aufschlag abnahm. Hatte er gegen Hewitt und Kiefer insgesamt nur einmal sein Service verloren, gelang es ihm diesmal nur fünfmal, ihn durchzubringen. Dem gegenüber standen acht Breaks von Rafter. „Ich war nie Herr über meinen Aufschlag“, klagte Becker.

„Ich hätte mich gern mit einem besseren Match von den Leuten verabschiedet“, sagte der 31jährige etwas zerknirscht, doch der Australier war nicht in der Stimmung, Abschiedsgeschenke zu machen. Mit seinen starken Returns setzte er Becker permanent unter Druck, vor allem beim zweiten Aufschlag. Spielte der Deutsche ihn sicher, machte Rafter damit, was er wollte, ging er auf Risiko, landete der Ball im Aus. Es war, als laste ein umgekehrter Midas-Fluch auf dem 31jährigen Deutschen. Was ihm sonst zu Gold geriet, wurde diesmal zu Schrott. Verschwunden die Fähigkeit, im richtigen Moment ein As hervorzuzaubern, statt dessen produzierte er Doppelfehler. 13 insgesamt, zwei führten zum Break.

Schon im zweiten Satz machte Becker den Eindruck eines Kapitäns, dessen Schiff gerade vor seinen Augen untergegeht. Hängende Schultern, gesenkter Kopf, müder Blick, kein Aufbäumen gegen ein Schicksal, das ihn mit Macht dem Karriereende entgegentrieb. Statt dessen haderte er mit den Linienrichtern und betrieb Maschinenstürmerei, indem er sich über das Instrument beschwerte, das seine Aufschläge ständig im Aus ortete und dies mit aufgeregtem Piepsen kundtat. Alles vergebens. Es dauerte nicht mehr lange und Rafter verwandelte seinen ersten Matchball, stilecht mit einem Second-Serve-Return.

„Es war eine aufregende Reise“, resümierte Becker seine 16 Jahre Wimbledon, auch wenn drei Siege bei sieben Finalteilnahmen „kein guter Prozentsatz“ seien. Eine Rückkehr schloß er kategorisch aus. Vor zwei Jahren habe er gesagt, daß er zu 99 Prozent nicht mehr zurückkehre, „diesmal sind es 100 Prozent“. Kaum vorstellen könne er sich auch einen Auftritt, wie den von John McEnroe (40), der gestern mit Steffi Graf die dritte Runde im Mixed-Wettbewerb erreichte. „Schon gar nicht mit vierzig“, meinte Becker, „da passe ich in keine Shorts mehr rein.“