Mit viel Energie billiger wohnen

■  Das Niedrigenergiehaus ist „out“ – das Plusenergiehaus im Vormarsch. In Freiburg will Solararchitekt Disch die größte Solarsiedlung Deutschlands bauen. Die Häuser sollen dereinst 1.000 Mark Energiekosten jährlich sparen

Die Revolution der Architektur steht unmittelbar bevor. Nachdem es fortschrittlichen Baumeistern in den vergangenen Jahren gelungen ist, den Energieverbrauch von Wohnhäusern drastisch zu senken, steht die Zunft nun vor dem Quantensprung. Moderne Häuser können inzwischen – der Sonne sei Dank – mehr Energie erzeugen, als die Bewohner verbrauchen.

Wenn alles glatt läuft, ist es die Stadt Freiburg, die sich die prestigeträchtige erste Solarsiedlung der neuen Art sichern wird. Noch vor der Sommerpause will der Gemeinderat über die Bebauung eines etwa drei Hektar großen Areals am Fuße des stadtnahen Schlierbergs entscheiden.

Der große Vorteil für die Stadt: Sie muß nur noch einem baureifen Konzept zustimmen. Der Freiburger Solararchitekt Rolf Disch hat für das betreffende Gelände bereits eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Solarsiedlung mit 210 Wohneinheiten entworfen – die größte Solarsiedlung Europas. Er hat sogar schon alle Genehmigungen in der Tasche, die Finanzierung gesichert und könnte binnen weniger Wochen mit dem Bau beginnen. Doch Freiburg tut sich schwer. Obwohl die Stadt die Solarsiedlung bereits als Projekt für die Expo 2000 angemeldet hat, konnte der Gemeinderat sich bislang nicht durchringen, Disch den Zuschlag zu geben. Statt dessen schrieb man das attraktive Baugelände im Januar öffentlich aus. Daraufhin bewarben sich sechs weitere Interessenten – allesamt aber mit Konzepten, die mit innovativem Bauen nichts gemein haben. Für den Freiburger Förderverein Energie- und Solaragentur (Fesa) ist damit klar: „Nur die Solarsiedlung von Rolf Disch ist als Expo-Projekt tauglich. Denn hier werde auf einmalige Weise eine hohe Wohnqualität mit Energiesparen konsequent verknüpft“, erläutert Fesa-Geschäftsstellenleiter Philipp Späth

Warum aber bleibt die Stadt so zurückhaltend, wo die Fakten so überzeugend sind? Ein Flop des vergangenen Jahres ist schuld. Ursprünglich hatte der Stuttgarter Musical-König Rolf Deyhle die Siedlung nach dem Disch-Konzept bauen wollen. Alles lief bestens, erste Kaufverträge waren bereits unterzeichnet – dann geriet der Unternehmer in finanzielle Schwierigkeiten und mußte das Projekt stoppen. Obwohl das Konzept aus dem Büro Disch nach wie nicht umstritten ist, geistert seither das Gerücht durch die Stadt, die Häuser seien zu teuer und daher nicht zu verkaufen gewesen. Daß diese Darstellung absurd ist, zeigen die vergangenen Monate: Nachdem Deyhle ausstieg, gründete Disch zusammen mit einem Freiburger Immobilienunternehmer und dem Schokoladenfabrikanten Alfred Ritter die Solarsiedlung GmbH – und schloß binnen weniger Wochen schon zahlreiche Vorverträge mit Bauherren ab.

Jetzt fehlt Disch nur noch eines: der Zuschlag für das Gelände. Ob er ihn bekommt? Nachdem es bei der Ausschreibung im Januar so schien, als ob das Disch-Projekt scheitern werde, sieht es nach Vorlage der recht schwachen Alternativentwürfe wieder gut für die innovativen Häuser aus. Auch Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik sieht jetzt für die Solarsiedlung wieder Chancen.

Denn das Disch-Konzept ist bestechend. Der Architekt, den die regionale Presse kürzlich als „ungewöhnliches Konsequenztalent“ titelte, macht die Wohnhäuser zu kleinen Kraftwerken. Das schafft Disch, indem er zunächst auf beste Isolierung setzt. Während die heutige Wärmeschutzverordnung bei Neubauten noch bis zu zehn Liter Ölverbrauch pro Quadratmeter im Jahr duldet und Häuser mit 6,5 Litern bereits als Niedrigenergiehäuser gelten, werden die Häuser am Schlierberg mit einer Energiemenge von umgerechnet einem Liter Öl je Quadratmeter auskommen.

Ein Vier-Personen-Haushalt in der Reihenhaussiedlung wird für 137 Quadratmeter Wohnfläche gerade 1.310 Kilowattstunden Heizenergie pro Jahr brauchen (entsprechend 130 Liter Heizöl). Den Energieverbrauch für Warmwasser kalkuliert Architekt Disch mit 1.437 Kilowattstunden jährlich, für den Stromverbrauch aus dem Netz setzt er 4.000 Kilowattstunden Primärenergie an. In der Summe bezieht der Haushalt folglich weniger als 6.800 Kilowattstunden im Jahr, speist gleichzeitig aber eine Strommenge ins Netz, die 12.400 Kilowattstunden Primärenergie entspricht. Die Gesamtbilanz: Gut 5.600 Kilowattstunden werden pro Jahr in jedem Haus erzeugt.

Ursprünglich hatte Disch die Siedlung auch mit Vakuumtoiletten (wie man sie aus ICE-Zügen kennt) ausstatten und die Abwässer zur Biogasgewinnung nutzen wollen. Doch dieses Projekt wurde aus Kostengründen gekippt. So werden die „Plusenergiehäuser“ – eine Bezeichnung, die sich Disch als Markennamen hat schützen lassen – nicht teurer sein als konventionelle Bauten in vergleichbar guter Lage. Im Vergleich zu einem konventionellen Haus sparen die Reihenhäuser am Schlierberg schon nach heutigen Preisen mehr als 1.000 Mark Energiekosten pro Jahr. Und weil die Energiepreise langfristig mit Sicherheit deutlich steigen werden, wird das Konzept immer attraktiver: „Auf eine Plusenergiebauweise zu verzichten, wird jeden Bauherren schon in den nächsten zehn Jahren teuer zu stehen kommen“, prophezeit Architekt Disch. Bernward Janzing