: Vom Kirchenasyl in den Abschiebeknast
■ Landkreis Leer steckt kurdischen Familienvater, der aus dem Kirchenasyl gekommen war, in Abschiebehaft / Kanadisches Flüchtlingskomittee übernimmt jetzt die Patenschaft
Einer kurdischen Familie droht kurz vor der rettenden Ausreise von Deutschland nach Kanada die Abschiebung in die Türkei. Seit Dienstag jedenfalls sitzt der 35jährige Familienvater in Niedersachsen in Abschiebehaft. Seine Frau und drei kleine Kinder wohnen zur Zeit noch im Landkreis Leer/Ostfriesland. „Alle rechtlichen Mittel sind ausgeschöpft. Jetzt entscheidet die Bezirksregierung über eine Abschiebung“, sagt Dieter Bakker, Sprecher des zuständigen Landkreises Leer.
Auf Antrag der Ausländerbehörde des Landkreises verhaftete die Polizei am Montag den kurdischen Bäcker, Sihmehemt P. Dessen Frau rief in ihrer Verzweiflung die evangelische Jakobi-Gemeinde in Warsingsfehn um Hilfe. Vor der ersten drohenden Abschiebung im November 1998 hatte sich die Familie dorthin ins Kirchenasyl gerettet. Nach einem heftigen Streit in der Gemeinde, mußten die Kurden die Kirche aber Anfang Mai wieder verlassen. Zwei Frauen hatten Anzeige wegen sexueller Belästigung gegen den Kurden erstattet. UnterstützerInnen der Kurden bezweifeln allerdings die Glaubwürdigkeit der Anzeigen (die taz berichtete mehrfach).
Die Beendigung des Kirchenasyls wurde möglich, weil der Anwalt der kurdischen Familie einen Asylfolgeantrag gestellt hatte. Daraufhin sprach der Landkreis eine vorläufige Duldung für die Asylsuchenden aus. Nur binnen weniger Tage entschieden die Behörden aber gegen eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Daraufhin schaltete jetzt der Landkreis die Polizei ein.
Während der Verhaftungsaktion am Montag verhandelte der Ausländerbeauftragte des Landkreises Aurich, Carl Osterwald, mit dem niedersächsischen Innenministerium und dem Landkreis Leer, um der Familie P. die freiwillige Ausreise nach Kanada zu ermöglichen. Dort leben Familienangehörige. „Die Festnahme ist sehr bedauerlich. Ich hatte keine Ahnung von der Polizeiaktion“, sagt Osterwald der taz.
Während der Dezernatsleiter des Landkreises, August Klosse, vorgibt, nichts von der Verhaftung P.'s zu wissen, bestätigte allerdings sein Abteilungsleiter Günter Stromann am Montag der taz: „Wir haben pflichtgemäß und routinemäßig die Beendigung der Aufenthaltsgenehmigung eingeleitet.“
Noch am Dienstag bestätigt zudem der Landkreissprecher Dieter Bakker: „Die Dokumente, die der Familie P. die Ausreise nach Kanada ermöglichen sollen, sind zu schwach. Inzwischen hat der Amtsrichter eine dreimonatige Abschiebehaft verhängt.“
Am Mittwoch traf dann überraschend ein hochoffizielles Schreiben des Lutherischen Flüchtlingskomittees aus Kanada bei der Kirchenleitung in Leer ein. Darin bestätigt das Komittee, daß es die Einreise für die Familie P. bei den kanadischen Behörden inzwischen beantragt und eingeleitet hat.
Das Komittee bittet die deutschen Behörden , „dringend“ von einer Abschiebung der Familie in die Türkei abzusehen. „Da Herr P. aus der Haft nicht weglaufen kann, hoffen wir inständig, daß er solange nicht abgeschoben wird, bis er und seine Familie in wenigen Wochen nach Kanada ausreisen können“, meint der Leeraner Superintendent Günther Arnold.
„Es gibt weder Absprachen noch Dokumente, die uns zur Zeit bewegen, eine Abschiebung der Familie P. hinauszuzögern“, sagt dazu ein Sprecher der jetzt für die offenbar kurzfristig anstehende Abschiebung zuständigen Bezirksregierung.
Thomas Schumacher
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