Wir wollen Sonne statt Regen

Heute spielt Stefanie Graf um den Finaleinzug in Wimbledon, und – „hey!“ – Tennis macht ihr auch bei Niederschlägen wieder richtig Spaß  ■   Aus Wimbledon Matti Lieske

Es sei eine verrückte Idee, zu dieser Jahreszeit in London ein Tennisturnier im Freien zu veranstalten, hat John McEnroe einmal gesagt, ohne allerdings zu spezifizieren, welche Jahreszeit denn wohl geeignet wäre, in London ein Tennisturnier im Freien zu veranstalten. Aber ganz so schlimm ist es gar nicht. Das Wimbledon-Kompendium verrät, daß das Wetter während der Veranstaltung in der Regel ganz vernünftig war, und wenn, dann meist in der ersten Woche Schwierigkeiten machte, was logistische Probleme, aber keine echten Sorgen verursachte. Steffi Graf kann sich an ein ähnliches Chaos wie diesmal überhaupt nicht erinnern, was am schwachen Gedächtnis liegen mag. Für 1988, als Graf das Turnier gewann, heißt es im Kompendium nämlich: „Nach einer Woche Sonnenschein gab es an jedem Tag bis auf einen Regen, und die Spiele wurden bis zum Montag ausgedehnt.“ So ähnlich könnte die Formulierung auch für 1999 lauten, zuvor war Vergleichbares nur im ersten Jahr an der Church Road, 1923, geschehen, als es komplett durchregnete, sowie 1938, 1989 und 1996.

Nun ja, gestern schien wieder die Sonne, und auf den Regen am Donnerstag konnte Steffi Graf nicht böse sein. Zum einen war ihr mit 6:2, 3:6, 6:4 gewonnenes Viertelfinalmatch gegen Venus Williams neben dem Sieg von Lindsay Davenport über Jana Novotna das einzige, das komplettiert werden konnte, zum anderen halfen ihr die vielen Pausen gewaltig dabei, die 19jährige US-Amerikanerin in Schach zu halten. Williams braucht immer eine gewisse Zeit, bis sie ihren Rhythmus findet; wenn sie ihn gefunden hat, ist sie kaum noch zu stoppen. Zweimal schien es gegen Graf soweit zu sein, nach dem Break zum 3:2 im zweiten Satz und nach dem 1:0 im dritten. Da traf sie jeden Ball so, wie sie wollte, setzte ihre Gegnerin mit Netzattacken unter Druck und verwirrte sie mit variablen Aufschlägen. Häufig verzichtete sie auf ihren krachenden First Service und brachte den Ball dafür mit viel Schnitt ins Spiel. Was sie nicht hinderte, den mit 120 Meilen pro Stunde zweithärtesten Aufschlag des gesamten Turniers hinter Greg Rusedski (122) zu servieren.

Williams selbst bestritt, daß der Regen ihr Spiel beeinträchtigt habe. „Ich bin jedesmal rausgekommen und konnte sofort gutes Tennis spielen“, sagte sie, was niemand bezweifeln wollte. Es war trotz der widrigen Bedingungen unbestritten das bislang beste Frauenmatch des Turniers, dem der Rang eines Endspieles gut angestanden hätte. „Es kommt im Viertelfinale selten vor, daß man ein solches Tennis spielen muß“, sagte Steffi Graf, die heute, so es das Wetter zuläßt, gegen Mirjana Lucic um den Einzug ins Finale spielt. Die Kroatin hatte gestern Vorjahresfinalistin Nathalie Tauziat mit 4:6, 6:4, 7:5 besiegt.

Es gebe nur fünf oder sechs Männer, die wissen, wie man auf Rasen spielt, hat Boris Becker gesagt, bei den Frauen sind es noch weniger. Die meisten übertragen, wie Venus Williams, einfach ihr gewohntes Spiel auf den Grasbelag und hoffen, daß es funktioniert. Eine, die ganz genau weiß, wie man auf Rasen spielt, ist Steffi Graf, die das Turnier schon siebenmal gewonnen hat. Der Boden kommt ihrem Spiel entgegen, da der Rückhand-Slice, sonst eher ein defensives Mittel, auf dem Gras ebenso flach abspringt wie ihre Vorhand, was es ihr erlaubt, die Gegnerinnen permanent unter Druck zu setzen. Mit Venus Williams dürfte sie die größte Hürde aus dem Weg geräumt haben, Davenport zog freundlicherweise die Titelverteidigerin Jana Novotna aus dem Verkehr, die Graf mit ihrem Angriffstennis stets mächtig plagt.

Nach einer langen Phase von Verletzung, Depression und grollendem Tennisexil spielt die Dreißigjährige so gut wie seit Jahren nicht mehr, der zweite Grand-Slam-Titel in Folge ist greifbar nah und selbst die Spitze der Weltrangliste keine Utopie mehr. Kein Wunder, daß Steffi Graf allenthalben strahlt wie in der Nudelwerbung. Macht es noch Spaß? wurde sie gefragt. Antwort: „Hey!“