Im Puppenhaus der Leidenschaft

■ Nennt ihn nie mehr postmodern! „Johns Frau“ von Robert Coover ist ein cinemascopisch irrer Reigen um einen Dallas-tauglichen J. R. und eine unnahbare Schönheit ohne Namen

Woran erkennt man einen postmodernen Roman? Man kann ihn vorwärts wie rückwärts lesen, und er ist immer stinklangweilig. Auch Johns Frau ist vielleicht langweilig, aber keinesfalls Robert Coovers Roman mit dem Titel „Johns Frau“. Man könnte ihn – vielleicht – auch rückwärts lesen, trotzdem bliebe er spannend bis zur ersten Seite. Daß er keinen richtigen Anfang und kein wallungsumnebeltes Ende hat, liegt am Sujet und nicht an den ästhetischen Positionen des Autors. Man sollte also endlich aufhören, Robert Coover einen postmodernen Schriftsteller zu nennen.

Die neckischen Lustbarkeiten des akademischen Mittelbaus finden jedenfalls in seinem amerikanischen Irgendwo-Städtchen nicht statt: kein „Diskurs“ weit und breit. Hier ist das Palaver Ordnungsmacht. Erkenntnisse fallen mangels Fragen aus. Und auch die ortsansässigen Künstler haben keinen privilegierten Zugang zum Stand der Dinge. Weder der Journalist Ellsworth, Zentralorgan des Klatsches und der Hofberichterstattung, aber auch Gelegenheitsdichter von Rang, noch Gordon, der Fotograf und Ablichtungsjäger, zäher und manischer Chronist des Kleinstadtlebens, soweit es vom Licht erhellbar ist – Dokumentarist der Paßgesichter und unzähliger Familienfeierlichkeiten, Bildgedächtnis des sich rasch wandelnden Stadtbildes, aber auch fotografischer Phantast der Lust. Tausende Bilder voller cinemascopischer Posen der Lust oder mikroskopierter Poren des Intimfleisches hat er heimlich geschossen und monumental gestapelt in schweren Alben.

Doch wie Gordon kämpft auch Lennox, der Seelsorger, mit der Tücke aller Wirklichkeit: „Was war denn das Wirkliche, und warum war es so flüchtig? Wie zur Antwort auf diese Frage schlenderte just in diesem Moment Johns Frau (...) vorbei.“ Auf eine priesterliche Frage eine äußerst irdische Antwort. Aber so geht es den meisten in der Stadt: Alle sind verrückt nach Johns Frau, die zwar aus bestem Fleisch und edel gefügten Knochen besteht, aber heilig entrückt bleibt. Nicht einmal ihren Vornamen darf sich der gewöhnliche Bürger auf der Zunge zergehen lassen. Und so heißt sie zwar Johns Frau, doch ohne im geringsten sein Attribut zu sein, eher das ganze Gegenteil. Denn John kann man sich als J. R. im Märklin-Format vorstellen. Die Geschichte spielt in einer erheblich verkleinerten, dafür unendlich vervielfältigten Ausgabe von Dallas, Trans-USA. Und so ist John ein echtes Bilderbuchschwein mit allem Drum und Dran, ein Aufsteiger mit dem unwiderstehlichen Charme des Siegers, der sich nie schämt. Ihm gehört der halbe Ort, er planiert Parks und errichtet Einkaufszentren, wie er die Frauen umnietet, um seine Erektionen über ihnen zu errichten.

In gewisser Weise ist John der Mittelpunkt der Dinge, auf den alles und alle zulaufen. Die öffentichen Stellen sind mit seinen abgehalfterten High-School-Kumpels besetzt und die wiederum mit seinen abgelegten Frauen versorgt. Ein Günstling der Götter, beinahe, wenn nicht die ganze Stadt in ihm bloß die erfolgreichere Ausgabe ihrer gewöhnlichen Gemeinheiten erkennen müßte. Kurz, der mächtigste Mann am Platz kommt aus Mangel an Geheimnissen nicht als religiöses Zentrum der Wirklichkeit in Frage.

Dieser Platz gebührt nur der Inkarnation des amerikanischen Traums selbst: Johns Frau. Eine Frau mit den Tugenden der Mutter, Ikone des Heims, weil sie anscheinend die ist, die sie zu sein scheint: schön, doch keusch; begütert, doch maßvoll; ewig jung, doch immer reif; sozial, aber nicht sozialistisch. Mit einem Wort: Chimäre eines genormten Traums und einer geträumten Norm, Erscheinung so sehr, daß niemand genau ihre Augenfarbe benennen könnte. Entrückt schwebt sie über dem irren Krieg der gemeinen Bürger ihrer Umgebung, deren verzückteste Leidenschaft ihr gilt. Doch wie so oft: In der Ekstase der Andacht steigt die Hitze unkeuscher Lust. Und so träumen fast alle Männer davon, die Ikone mal so richtig ranzunehmen. Unklar, ob sie die Heilige schänden oder von ihr gebenedeit sein wollen.

Eigentlich hat Honoré de Balzac vor 150 Jahren ähnliche Geschichten erzählt. Doch Robert Coover hat den Tragödien der „Comédie humaine“ die Fallhöhe genommen. Im Puppenhaus der Leidenschaft scheitert man nicht, es wechseln die Mieter, und es kommen neue Besitzer. Die Götter strafen nicht mehr, sie erhellen den dunklen Sünden der Lust den Weg. Und auf diesen Wegen zieht das Leben seine endlosen Schleifen. Nach 670 Seiten ist man erst einmal rum. Walter van Rossum

Robert Coover: „Johns Frau“. Roman. Deutsch von Gerd Burger. Rowohlt Verlag, 670 Seiten, 49,80 DM

Doch wie so oft steigt beim gemeinen Bürger in der Ekstase der Andacht auch die Hitze unkeuscher Lust