Indien läßt Pakistan weiter zappeln

Indiens Außenminister Jaswant Singh sagt im Gespräch mit der taz, daß es vor einem vollständigen Rückzug der Eindringlinge aus Pakistan keinen Kaschmir-Dialog mit Islamabad geben wird  ■   Aus Delhi Bernard Imhasly

„Es gibt keine Verhandlungen, weder durch die Vorder- noch durch die Hintertür“, sagte Indiens Außenminister Jaswant Singh in einem Gespräch mit der taz am Donnerstag abend in Delhi. Er trat damit Spekulationen entgegen, wonach in den letzten Wochen Geheimemissäre zwischen Indien und Pakistan gependelt seien, um eine diplomatische Lösung des immer verlustreicheren Kaschmir-Konflikts zu finden. Erst nach einer „Rücknahme der feindlichen Aggression ist eine Wiederaufnahme des umfassenden Dialogs möglich“, sagte Singh. Gleichzeitig wiederholte er die Zusicherung von Indiens militärischer Zurückhaltung. „Wie können wir die Beachtung der Unverletzlichkeit der Kontrollinie fordern und sie selber verletzen?“ In letzter Zeit mehren sich die Stimmen aus armeenahen Kreisen in Indien, die unter Verweis auf 650 gefallene oder verwundete Soldaten kurze „chirurgische“ Schläge gegen pakistanische Versorgunslinien fordern.

Auf die Frage, ob eine Umwandlung der Waffenstillstandslinie in eine internationale Grenze nicht die beste Versicherung gegen künftige Übergriffe wäre, antwortete Singh mit einem klaren Nein. Er berief sich dabei auf eine Parlamentsresolution von 1994, die auch den pakistanischen Teil Kaschmirs als indisches Territorium einfordert. Singhs Äußerungen zeigen, daß Delhi seine militärische Zurückhaltung nicht noch durch diplomatische Gesten versüßen will. Islamabad, so die indische Haltung, soll die selbst eingebrockte Suppe nun auch auslöffeln. Erst danach wolle sich Indien um die Wiederaufnahme des Dialogs kümmern.

Pakistans geriet inzwischen noch weiter in die diplomatische Isolation. Am Donnerstag forderte die Sprecherin des chinesischen Außenamts erstmals explizit die Respektierung der Kontrollinie und rief beide Länder zum bilateralen Dialog auf. Es ist ein deutlicher Hinweis, daß es Premierminister Nawaz Sharif bei seinem Peking-Besuch Anfang der Woche nicht gelang, den chinesischen Verbündeten auf seine Seite zu ziehen. Sharif beendete seinen Besuch vorzeitig. Damit befindet sich Pakistan mit seinem militärischen Abenteuer vollends im Abseits. Seine offizielle Version, laut der sich in Kargil kaschmirische Freiheitskämpfer eingenistet haben, findet kaum Abnehmer.

Angesichts der Evidenz einer Verwicklung der pakistanischen Armee wird der Schein selbst in Pakistan immer weniger aufrechterhalten. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Pervez Musharraf, sprach davon, es werde „nicht zu einem einseitigen Rückzug“ kommen. „Pakistan ist in seiner eigenen Sprachregelung gefangen“, kommentierte Indiens Außeminister. „Wie kann es dies sagen und gleichzeitig behaupten, es habe mit den ,Freiheitskämpfern‘ nichts zu tun?“

Islamabads Isolation mag auch Ursache dafür sein, daß pakistanische Politiker ihre Alarmrufe über einen drohenden Atomkrieg intensivieren. Indiens Regierung nimmt laut Singh solche Äußerungen ernst, um so mehr, als sie von einem Staat stammen, dessen Machtgruppen sich demokratischer Kontrolle entziehen. Laut Singh sollte dies auch für die internationale Gemeinschaft ein Grund zur Sorge sein, dürfe aber nicht als Einladung mißverstanden werden, eine Vermittlerrolle zu spielen. „Wir sprechen dieselbe Sprache, wir brauchen keine Dolmetscher“, sagte er und wies auch Pakistans Vorschlag einer internationalen Beobachtergruppe entlang der Kontrollinie entschieden zurück.

Delhi will die Gefahr aber auch nicht dramatisieren. Für Singh war Pakistan schon vor den Tests von 1998 ein Nuklearstaat: „In den Chagai-Hügeln [dem Testgelände; Anm. d. Red.] kam nur das zum Vorschein, was bereits im Untergund vorhanden war.“

Für indische Atomwaffengegner ist dies ein schwaches Argument, das nur den Zweck hat, die hindunationalistische Regierung vom Vorwurf zu befreien, Indiens Tests hätten Pakistan die Atomwaffe in die Hand gegeben und das Gefühl nuklearer Parität habe es zu seinem Kaschmir-Abenteuer ermutigt.

Aber selbst Atomwaffengegner rechnen nicht mit einer Eskalation des Grenzkonflikts zum Nuklearkrieg. „Keines der Länder hat bisher Atomwaffen aufgestellt“, meint der Publizist Achin Vanaik. Doch sei die Atomkriegsgefahr nur aufgeschoben. Schon der nächste Lokalkrieg könne sie wesentlich erhöhen. „Beide Länder“, so Vanaik, „müssen jetzt beschließen, auf die Stationierung von Atomwaffen zu verzichten. Sonst ist die nukleare Eskalation nur eine Zeitfrage.“

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