Ihrer Majestät Geld verspekuliert

Heute kommt Nick Leeson aus dem Gefängnis. 1995 hatte er die Barings-Bank in den Ruin gewirtschaftet und die Weltfinanzmärkte zum Trudeln gebracht    ■ Von Hannes Koch

Berlin (taz) – Der 28jährige Nicholas Leeson hatte eine phantasie- und wirkungsvolle Lügengeschichte erfunden. Als sie herauszukommen drohte, verschwand er eines Abends von seinem Arbeitsplatz in Singapur und hinterließ am Computerbildschirm nur ein Zettelchen: „Tut mir leid.“ Dann machte er mit seiner 23jährigen Ehefrau erst mal Urlaub – ohne Zeitung zu lesen. Deshalb war er überrascht, als er auf dem Frankfurter Flughafen auf dem Weg in seine Heimatstadt London verhaftet wurde. Man lieferte ihn nach Singapur aus, weil er dort doch noch etwas anderes zurückgelassen hatte: Schulden von etwa 1,4 Milliarden Dollar.

Vier Jahre lang saß er im Gefängnis, heute kommt Leeson wegen eines Krebsleidens vorzeitig frei. Der 28jährige Börsenhändler hatte die 233 Jahre alte Barings-Bank, bei der die britische Königin ihre Konten unterhielt, zum Einsturz gebracht. Das Institut konnte die Verluste, die der Angestellte Leeson in der Filiale Singapur zusammenspekuliert hatte, nicht bezahlen. Folglich wurde Barings an die Konkurrenz, die niederländische ING-Bank, verkauft.

Leeson wurde damals zur Personalisierung der bösen Börsenspekulation. Ein kleiner Angestellter, der ein großes Bankhaus unterminiert und – viel schlimmer – ein erhebliches Durcheinander an den großen Börsen der Welt verursachte. Das britische Pfund reagierte empfindlich und sackte auf einen historischen Tiefstand. Der Dollar trudelte, die Aktienkurse an den europäischen Börsen und in Australien stürzten. „Wie kann so etwas geschehen?“, fragte sich die Öffentlichkeit – aufgescheucht durch die vorhergehende Währungskrise in Mexiko, in deren Verlauf manche Kommentatoren das Schreckgespenst eines globalen Finanzkollapses wie im Jahr 1929 heraufbeschworen. 1995 schien es so, als koppelten sich die Finanzmärkte immer mehr von der realen Wirtschaftsentwicklung ab.

Im Vergleich zu seinen KollegInnen früherer Jahrzehnte hatte Nick Leeson neue Möglichkeiten zur Verfügung: rasend schnelle Datenverbindungen, mit denen sich Milliardenbeträge sekündlich um den Globus schieben lassen, neue Arten von Wertpapieren (Derivate), die ebenso gewinn- und verlustträchtig wie schwer zu überschauen sind, und jede Menge Geld, das ihm sein Arbeitgeber widerspruchslos überließ.

Nachdem Leeson sich bei Barings einen Ruf als treffsicherer Spekulant erworben hatte, begann er Sicherheitsvorkehrungen zu vernachlässigen. In großer Zahl schloß er Verträge, die ihn zum späteren Kauf von Wertpapieren zu einem festgesetzten Preis verpflichteten. Leeson wettete, daß der Marktpreis der Papiere bis dahin stärker steigen würde als in seinem Kaufvertrag verzeichnet. In diesem Falle hätte die Bank Hunderte Millionen Gewinn eingestrichen – und der Mitarbeiter eine schöne Provision. Doch die Kurse fielen. Leider hatte Leeson sich nicht durch entsprechende Gegengeschäfte abgesichert.

In Deutschland reagierte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen kurz nach dem Skandal, indem es schärfere Vorschriften erließ. Spekulation und ihre Kontrolle innerhalb der Banken müssen seitdem bis in den Vorstand hinein personell getrennt sein. Leeson dagegen kontrollierte sich selbst. „Er war ein Krimineller“, sagt die Bundesbank – das könne trotz der besten Sicherheitssysteme immer wieder passieren.

Ob seine Finanzgeschäfte im Knast legal waren, ist nicht überliefert. Dort soll er die Ersparnisse seiner Mithäftlinge verwaltet haben.