„Wir müssen das grüne Projekt vorantreiben“

■ Ekin Deligöz, Mitglied der Grünen-Bundestagsfraktion, ist enttäuscht über die Qualität der innergrünen Debatte: „Den Rücktritt von Trittin zu fordern, halte ich für völlig absurd“

Mit dem Strategiepapier „Bündnis 90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient“ veröffentlichten 40 junge grüne Realos vor knapp zwei Wochen eine Kampfansage an die Parteilinke. Es war der Auftakt für einen neuen Richtungsstreit in der Partei.

taz: Frau Deligöz, warum haben Sie das Strategiepapier der Realos unterschrieben?

Ekin Deligöz: Die Frage nach den eigenen Standpunkten und der Zukunft der Partei muß jetzt neu gestellt werden. Das Papier sollte dabei bewußt provozieren.

Sie haben also unterschrieben, weil kein anderes Papier zur Hand war.

Im Augenblick ja. Ich halte das Papier zwar für autoritär und besserwisserisch formuliert. Meine Änderungswünsche wurden übrigens nicht berücksichtigt. Aber trotz des Realo-Fundamentalismus, der hier transportiert wird, ist es ein Anstoß, grundsätzlich über die eigene Partei zu diskutieren. Inhalte hat es wenig.

Das linke Gegenpapier hat den Anstoß der Realos aufgenommen ...

Dieses Papier ist ebenfalls ein Anfang, um auf breiter Basis und vor allem auf der untersten Parteiebene zu debattieren, wo wir hinwollen und was von den Funktionsträgern erwartet wird. Auch beim Gegenpapier vermisse ich inhaltliche Positionen.

Es gab doch konkrete Forderungen in dem Papier der Linken. Zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und das Verbot von Studiengebühren.

Das ist die Referierung des Parteiprogramms. Es reicht nicht, immer nur zu wiederholen, was wir schon vor zehn Jahren gesagt haben. Wir müssen uns für die kommenden drei Jahre überlegen, wo wir die Schwerpunkte setzen und was wir als Grüne in der Koalition durchsetzen können.

Wer wird sich da durchsetzen: Realos oder Linke?

Es geht nicht um einen Sieg im Stellungskrieg, sondern darum, das grüne Projekt voranzutreiben. Die Grünen müssen wieder mit Argumenten diskutieren, nicht nur mit medienwirksamen Schlagworten. Ich hoffe, daß die Notwendigkeit für eine fundierte Auseinandersetzung allen klargeworden ist. Die Diskussionen, die jetzt über den Kurs der Grünen zu führen sind, gehören allerdings nicht in die Medien, sondern auf Parteitage und Fraktionssitzungen.

Hätten Sie das Papier nicht unterschrieben, wenn Sie gewußt hätten, daß es nach außen dringt?

Ich habe das Papier zumindest nicht für eine öffentliche Debatte unterschrieben. Jetzt, da auch außerhalb diskutiert wird, sollten wir einen Aufruf an die Basis und andere Interessierte richten. Die Leute könnten uns beispielsweise per Internet ihre Positionen mitteilen. Erst wenn wir wissen, welche Meinung bei den Mitgliedern herrscht, können wir uns Handlungsoptionen daraus erarbeiten.

Oswald Metzger meinte, Trittins Rücktritt gäbe ein bis zwei Prozent mehr an Wählerstimmen.

Das ist ein Symptom für Hilflosigkeit. Das Ärgerliche ist, daß sie nicht gemeinsam die Gründe für die Niederlagen analysieren. Den Rücktritt von Trittin zu fordern, halte ich für völlig absurd. Auch ich finde es an der Zeit, daß Trittin uns seine Strategie aufzeigt. Aber das muß geschehen, um ihn zu stärken, nicht um ihn abzusägen. Interview: Sebastian Sedlmayr