Beim letzten Mal tut es noch weh

Hogers Humtata, Schleiers Schunkeln: der Täterätä-Abschied der „Hammoniale“. Deren Leiterinnen wurden für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen  ■ Von Gisela Sonnenburg

Marschmusik und Humtata-Takte müssen etwas unheimlich Multikulturelles und Frauenbefreiendes sein. Anders ist nicht zu erklären, daß die Hammoniale-Abschluß-Revue Hoppla, wir leben! von herkömmlichem Täterätä und deutschen Melodien zum Mitschunkeln durchtränkt war, wiewohl sich das Festival der Frauen die Gleichberechtigung der Geschlechter und Kulturen zum Ziel setzt.

Oder war die „Medienpartnerschaft“ zum NDR schuld? Der will was für die Landbevölkerung, wenn er so eine Show fürs Fernsehen aufzeichnet. Aufgrund „technischer Abstimmungen“ ging es am Samstag auf Kampnagel auch eine halbe Stunde zu spät los. Und Irmgard Schleier, eine der beiden Fe-stival-Leiterinnen, kündigte als erstes an, daß aufzeichnende Kameras die Sichtfreiheit einschränken werden.

Die ersten Takte sind gleich ein Schock. Marschmusik im Militärsound. Viel zu laut. Dann donnert die Band die Marseillaise. „Wir wollen freie Menschen sein“, versucht der gemischte Chor, als Arbeiter der Belle Epoque verkleidet, dagegen anzubrüllen. Nicht eben zarte weibliche akustische Kost. Auch in den folgenden vier Stunden werden wir ausreichend malträtiert: Die Lautstärke ist für Schwerhörige ohne Hörgerät eingerichtet, die Mikrophone der Sänger sind zu schwach, verwandeln dafür aber S- und Sch-Laute in häßliches Zischen.

Bei technischen Schönheitsfehlern bleibt es nicht. Ein Fest, zudem ein Abschiedsfest wie dieses, mit dem die Hammoniale ihre Hamburger Abwicklung und ihren Wechsel nach Berlin zelebriert, will von prägnanten Händen inszeniert sein. Doch die Regie von Peter Homann und Sanda Weigl ist mehr als mangelhaft. Existiert sie überhaupt? Beliebig reihen sich Starauftritte aneinander, ohne daß die bunten Splitter ein Kaleidoskop ergeben.

Die künstlerische Gesamtleitung verantwortet Irmgard Schleier selbst. Ihre aufsingenden Stars sind – Nostalgie, Nostalgie – größtenteils die der ersten Hammoniale. Da sie schon vor dreizehn Jahren als prominente Zugpferde taugten, locken sie jetzt ein überaltertes Publikum an. Junge gebildete Menschen muß der Untertitel abgeschreckt haben: Hundert deutsche Jahre – eine Revue in Liedern, Chansons, Texten, Szenen. Er ist außerdem eine Mogelpackung, denn Szenen gibt es kaum, dafür massenhaft langweilige Ansagen von Eva Mattes. Daß Marschmusik und Schlager keine „Chansons“ sind, sollten die Hammoniale-Macherinnen allerdings wissen. Wer gut verkauft, verkauft für dumm? Seit dem 16. Juni bot die Hammoniale internationale, hochkarätige Nischenkultur und erreichte damit eine Auslastung von 85 Prozent. Doch die ausverkaufte Abschluß-Revue war – NDR-gemäß – auf die Bäuerin ab fünfzig zugeschnitten. Im Hinblick auf deren Geschmack wird wohl auch die Fernsehsendung, von N 3 am 31. Juli geplant, frisiert. Anspruchsvolles wird die vielleicht gar nicht mehr enthalten.

Nur Angela Winkler, die hingebungsvoll nicht etwa ins Publikum, sondern in die Kamera direkt vor ihrer Nase singt, hat Chancen, ihren quiekenden Sopran und einige Zeilen von Else Lasker-Schüler – übers weibliche Leben in Langzeitarmut – ins Fernsehen zu bekommen. Corinna Harfouch hingegen, die mit Heiner-Müller-Tiefen lobenswerte Kontrapunkte setzt, wird mit der Cutter-Schere rechnen.

Eine Stunde und vierzig Minuten, bis zur Pause, krepelt das Programm inhaltlich in der ersten Jahrhunderthälfte. Man schwingt sich von Weltkrieg zu Weltkrieg und kommt doch nicht voran. „Diese Judengeschichten sind natürlich ergreifend“, flüstert es hinter mir, als das Emigrantenthema dran ist: mit Friedrich Hollaender, aber auch mit dem Urberliner Walter Mehring, der 1934 ausgebürgert wurde. Pech nur, wenn ein Schauspieler dann mehr schlecht als recht berlinert.

Parallelen zu heute werden tunlichst vermieden, es obsiegt das Volksnahe. „Unterhaltung, Unterhaltung!“ lautet das gar nicht Hammoniale-typische Revue-Rezept. Ein Meer aus Allzubekanntem, welches mit den drallen Matronen Eva Mattes und Hannelore Hoger seine Humtata-Surferinnen hat, schwappt allzu glatt: Gassenhauer satt. Selbst Brecht-Songs schwanken hier mit Hafen-und-Heimatgedudel auf Butterfahrt-Niveau. Auch die unseligen Capri-Fischer sind an Bord. Zwei seltene Rettungsanker sind Mario Adorf und Maren Kroymann. Adorf, der Vollblutschauspieler, zeigt außer Seemann-Ahoi- und Hans-Albers-Flair scharfen, kabarettistischen Witz. Wenn er den Staatsbeamten mimt, der jedem in den Hintern kriecht, dann wirkt das wie ein köstlicher Affront gegen Berlin, den neuen Hammoniale-Sitz – und den der deutschen Regierungsbeamten. Und Kroymann ernet für ihre bissige Abrechnung mit dem Frauenbild der Nachkriegsjahre prompt den meisten Applaus. Ansonsten wirkt, was schlicht sein soll, nur glanzlos. Da mag sich Donata Höffer noch so gegen den Zynismus, den die Gesellschaft einer ungewollt Schwangeren entgegenhält, ins Zeug legen – im Korsett dieser Veranstaltung wirkt sie wie ein Füllsel, kunstgewerblerisch.

Ein Hauch von Kunst und Seele kommt einzig mit der Faßbinder-Heroine Barbara Sukowa in die Halle. Sie, die sich auch als Rosa Luxemburg und im Baumeister Solneß Film- und Theatergeschichte erspielte, schafft mit lakonischer Eleganz, der Revue so etwas wie Glamour und Größe zu verleihen. Im Black Market brilliert sie geradezu – hinterfotziger konnte den auch die Dietrich nicht bringen. Und bei Lili Marleen vertritt sie würdig Hanna Schygulla – trotz des Balletts der drei fahrenden und zwei Handkameras um sie herum. Die tanzen den ganzen Abend ausgiebig vor.

Nach fast drei Stunden, um viertel nach zehn, ist man historisch erst bei der Berlin-Blockade von 1948. Das Insulaner-Lied ist aber so unaktuell, daß es grotesk gerät. Auch DDR-Klischee-Gesänge schlagen zurück: So platt kann nur der Westen auf den Osten sehen. Eva-Maria Hagen tremoliert zu allem Überfluß ihre Asbach-Uralt-Biographie: Ich bleib– immer die aus –m Osten, dann ist es elf Uhr durch.

Das restliche Vierteljahrhundert wird im Schnellgang abgespult: nochmal Intelligentes von Heiner Müller, dann was Lustiges mit leicht traurigem Einschlag, dann ein Ida-Ehre-Film mit ihrem berühmten „Nein“ zur Aufrüstung – und flugs springen wir von 1983 nach 1999. Fünf dunkelhäutige deutsche Mädels verzapfen ein grauenhaftes Schlagerprodukt – Deutsch-Rap zum Mitklatschen – und sollen so die politisch korrekte Jugend der 90er repräsentieren. Die entscheidenden, weil Hammoniale-Jahre fehlen einfach.

Das Publikum ist geschafft, Sukowa spendet Kraft mit einer nicht mal eingeforderten Zugabe, bevor Irmgard Schleier zum finalen Winkewinke animiert: In Hamburg sagt man tschühüs. Auf nach Berlin also. „Wir gehen nicht gerne“, sagt die Pressesprecherin Marilen Andrist, die fast alles, was sie sagt, später wieder zurücknehmen möchte. Aber immerhin sei es „ein schönes Gefühl, daß man uns woanders haben will.“Leider habe neben der Stadt Hamburg auch das Abendblatt sie im Stich gelassen. Im Gegensatz zur taz, die viel über das letzte Hamburger Mal der Hammoniale berichtete.

Grund zum Jubel hat Frau Andrist auch, weil die Hammoniale-Macherinnen Isabelle Vértes-Schütter und Irmgard Schleier pünktlich zum Hamburger Abgang für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen wurden: von der Europaabgeordneten Christa Randzio-Plath, mit der Begründung, sie hätten sich „um die Völkerverständigung und die internationale Frauensolidarität verdient gemacht.“

Was stimmt, wenn auch während der Revue davon nichts zu spüren war. Ob 2001 im Berliner Haus der Kulturen der Welt, dem neuen Ort des Festivals, noch interkultureller Feminismus im Vordergrund stehen wird, bleibt skeptisch abzuwarten. Andrist plauderte aus, daß wahrscheinlich noch nicht mal der Titelzusatz Festival der Frauen bleibt: „Eine solche Etikettierung hat sich überlebt. Da hat man ja keine Lobby mehr.“ So gesehen steht es wirklich schlimm um die Frauenkunst.