Wer zum Teufel ist Scott Humphries?

■ Auch das war Wimbledon: Cliff Richard als Lou van Burg, und John McEnroe sticht der Hafer

Wimbledon (taz) – Man hat es nicht leicht als Honorary Steward. Da hat man fast zwei Wochen lang getreulich, höflich, aber unnachgiebig streng die Eingänge zu Wimbledons heiligen Wiesen bewacht, die Menschenströme geordnet und auch sonst eine würdige Figur abgegeben. Nun will man sich endlich mal selbst ein bißchen Tennis gönnen, schon erscheint ein anderer Honorary Steward und fragt inquisitorisch: „Irgendwelche Honorary Stewards hier?“ Angesichts der schmucken Uniform kaum abzuleugnen, schweren Herzens meldet sich der Amtsflüchtling und wird, sorry, freundlich, aber bestimmt aufgefordert, seinen Platz doch bitte zu räumen. Der Andrang beim Agassi-Match ist groß, und die betreffenden Sitze sind für die Presse reserviert.

Der fremdgehende Honorary Steward war jedoch ein sicheres Zeichen dafür, daß sich das Turnier dem Ende näherte. Nur ein paar Zentner der berüchtigten Wimbledon-Erdbeeren, die rund und rot aussehen, aber schmecken wie von Ivanisevic durchgeprügelte Tennisbälle, noch zu vertilgen, ein paar Hektoliter Pimm's, eine brisante Mischung aus Tankard und Limonade, durch die Gurgel zu jagen, einige Tausendschaften „Dutchees“, eine britische Bratwurstparodie, zu verschlingen. Überstanden auch die langen Stunden des regenreichen Wartens, die das Centre-Court-Publikum zu allerlei Schabernack animierten, zur Erfindung der Regenschirmwelle beispielsweise, der Umbrellola. Die wogte natürlich nur, wenn nicht gerade Cliff Richard in einem glitzernden Jackett, das aussah wie von Lou van Burg geklaut, die Pausen vollschnulzte. Selbst die Schlangen draußen auf der Church Road waren verschwunden, wer nachmittags noch ein bißchen Tennis sehen wollte, ging einfach hin und kaufte sich eine Karte. Damit kam er natürlich nicht auf die großen Courts zu den verbliebenen wichtigen Spielen, konnte aber doch allerlei Bemerkenswertes erleben, das sich die Organisatoren ausgedacht haben, damit der große Kehraus nicht zu trist ausfällt.

In der Ü 45-Konkurrenz zum Beispiel sind antike Gestalten wie Frew McMillan, Ken Rosewall, John Newcombe, Stan Smith oder Manuel Santana zu bewundern, im Ü 35-Wettbewerb ein gewisser Ilie Nastase oder ein Herr namens Kevin Curren, der noch genauso aussieht wie vor 14 Jahren, als er einem 17jährigen Buben aus Deutschland im Finale den Weg zu einer großen Karriere ebnete. Oder das Doppel Mansour Bahrami/ Henri Leconte, das beim Match gegen Flach/Seguso, das beste Doppel der 80er Jahre, den vollbesetzten Court One zu permanenten Lachkaskaden und einer Standing ovation am Ende hinriß.

Aufschlußreich auch der Junioren-Wettbewerb, wo man erleben kann, wie sich zwei künftige Top-Ten-Spieler mit Donneraufschlägen traktieren. Vielleicht auch nur Top 2000. In der Siegerliste sind zwar Namen wie Björn Borg, Ivan Lendl, Pat Cash, Stefan Edberg oder Martina Hingis verewigt, aber von manchem Gewinner hat man nie wieder etwas gehört. Oder weiß jemand, wo Scott Humphries steckt, der 1994 im Finale Mark Philippoussis bezwang? Es sei verraten: Platz 328 der Weltrangliste. Pete Sampras wiederum sagt, er sei ein lausiger Junior gewesen. Kleiner Hoffnungsschimmer für das deutsche Tennis, dem es ähnlich geht. Alle sieben Starter schieden in der ersten Runde aus, bei den Mädchen kam nur die 16jährige Scarlett Werner weiter. Sie verlor in der dritten Runde nach couragiertem Auftritt gegen die spätere Finalistin Irina Krasnutskaja (15) aus Rußland.

Ein Wettbewerb fehlt aber noch. Findet zumindest John McEnroe, dessen umjubelter Auftritt im Mixed mit Steffi Graf keineswegs nur ein Jux war, sondern eine PR-Kampagne in eigener Sache. „Johnny Mac“, wie ihn Boris Becker kumpelig nennt, zwickt nämlich mit 40 der Hafer. Er bewirbt sich allen Ernstes um einen Platz im Davis-Cup-Team der USA, und die Demonstration seiner nach wie vor vorhandenen Spielkunst auf dem Centre Court von Wimbledon sollte beweisen, wie wertvoll er als Doppelspieler sein kann. Außerdem wollen er und Jimmy Connors erreichen, daß ein Einzelwettbewerb für Senioren bei den Grand Slams eingeführt wird. „So was, wo alle Halbtoten aus den Gräbern kriechen?“ hatte Boris Becker die nostalgiegesättigte Initiative verspottet und seine Mitwirkung weitgehend ausgeschlossen. Auch bei den Wimbledon-Organisatoren biß McEnroe zumindest in diesem Jahr auf Granit. Gut möglich, daß sein populistischer Werbefeldzug im Mixed, durch Steffi Grafs Absage des attraktiven Halbfinales gegen Kournikova/Björkman allerdings abrupt gestoppt, und zu einem Sinneswandel führt. Wenn nicht, sollte man sich nicht wundern, wenn John McEnroe nächstes Jahr in der Qualifikation antritt. Matti Lieske