Mühsal eines Dinosauriers

■ Schnipselorgien und andere Geduldsarbeiten des legendären Wiener Experimentalfilmers Kurt Kren werden am Mittwoch in der fast ebenso legendären Experimentalfilmreihe im Neuen Museum Weserburg gezeigt

Kurt Kren (1929-98) war temporärer Extremist, das heißt, eigentlich war er natürlich zeitlebens Extre-mist, denn was könnte schließlich extremer sein, als zehn volle, ganze Jahre lang (bis 1989) über das Holzparkett eines texanischen Museums zu schleichen in der Funktion eines Museumswärters, übrigens Krens dritter Beruf?

Einen temporären Radikalen nennen wir Kren lediglich deshalb, weil in seiner vorhergehenden Profession (und Passion) als Avantgardefilmer sein liebstes Experimentierfeld die Zeit war. Ausgestattet mit einer Kamera mit Einzelbildschaltung stopfte er in die flüchtige Lächerlichkeit einer Sekunde ein ganzes Sammelsurium von Perspektiven hinein. Dokumentierte er zum Beispiel in den frühen 60er Jahren die ersten Aktionen des umstrittenen, später dann wegen Kinderschändung verknasteten Wiener Aktionisten Otto Mühl, dann ließ er das Kameraauge hypermotorisch vom liebreizend komponierten Rosen-Hoden-Schleim-Stilleben zu Bluteimer-Ausschüttungen auf Damenschenkel hektigen und schnell noch ein paar Mikromomente in den Farbpigmentnebel über einem Arrangement nackter Gliedmaßen abtauchen.

Delirante Schnitte behindern den Zuschauer darin, sich mit Haut, Haar und Hormon dem Tabubruch hinzugeben. Kaum ist es da, ist es schon wieder weg, das sanfte Fließen eines rohen Eigelbs um eine Bauchnabelkraterlandschaft: Tempo als hinterhältige Methode der Entsinnlichung. Kren kann sich übrigens rühmen, einer der Erfinder dieses sogenannten „Kurzschnitts“ zu sein.

Die Intention dieser Bildersalven deckt sich mit der eines bestimmten psychologischen Testverfahrens, genannt Szondi-Test. Dort werden Gesichter in solch rascher Bildfolge gezeigt, daß das Auge einzelne Bilder herausschält, andere unterschlägt oder miteinander vermischt. Das Sprengen der menschlichen Auffassungskapazität erzeugt eine Wahrnehmungslücke, in welche die Fantasie/das Unbewußte hineintröpfelt.

Unter Krens 50 Kurzfilmen finden sich aber nicht nur Etüden der Sprunghaftigkeit, sondern auch gar manches Beispiel eines euphorisierten Stillstands. Fünfzig Tage lang ließ Kren seine Kamera mit Engelsgeduld auf einen Baum halten. Das Ergebnis komprimierte er auf knappe vier Minuten. Der Wechsel der Witterung erzeugt ein Flackern auch hier. Doch weil die Perspektive konstant ist, wird der Gegenstand nicht vom Entschwinden bedroht; er scheint zu lodern, radioaktiv zu strahlen, zu atmen wie ein Tier.

Auch hochkomplizierte Überblendungstechniken hauchen unscheinbaren Landschaftbildern mysteriöses Leben ein. Da mischen sich einmal verschiedene Jahreszeiten – Schnee, Regen, Sonnenschein – durcheinander. Ein anderes Mal huschen gespensterhafte Passanten durch eine Straßenszenerie.

Ausgangspunkt solcher wirklichkeitsverunklärenden Szenen war in der Regel keine besondere Aussageabsicht, sondern ein bestimmtes handwerkliches Verfahren. Von dessen Ergebnis ließ sich Kren am liebsten selber überraschen: Schau mer mal ..., wie ein berühmter bayerischer Fußballmanager diese offene Daseinshaltung zu nennten pflegt.

Das Kino 46, das die kultigen monatlichen Experimentalfilm-abende im Neuen Museum Weserburg verantwortet, stellt einem Dutzend Kren-Highlights eine 50minütige Filmbiografie zur Seite. Diese zeigt einen vorsintflutlich anmutenden Filmschnittplatz und beachtliche Spinnwebskulpturen in einer bescheidenen Behausung in Houston/Texas, die Kren bewohnte ehe er 1989 doch noch von einigen ritterlichen Cineasten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und mit einem Lehrauftrag geehrt wurde. Die liebevolle Dokumentation erzählt aber auch vom gigantischen Zeitaufwand, der hinter fast allen Kren-Werken steckt.

Heute, im Zeitalter digitaler Verfremdungstechniken, ließen sich viele von Krens Effekten mit ein paar Knopfdrucken bewerkstelligen, ganz schäbig, hirnlos banal. Was einst mit viel Mut und noch mehr Mühe entwickelt wurde, ist in heutigen Videoclips eine zwangsläufige Folge technischer Möglichkeiten. Zu besichtigen ist also ein Neuerer, der zum Dinosaurier fossilierte.

Aber was ist schon spannender, als das Altern des Neuen? bk

7. Juli, 19 Uhr im Neuen Museum Weserburg, Teerhof