Drahtseilakt in Tokio

■ Die leichte Aufhellung der japanischen Konjunktur bringt Hektik in den globalen Devisenhandel

Tokio (taz) – Der weltweit herbeigesehnte Wirtschaftsaufschwung in Tokio nimmt derzeit konkretere Formen an. Das beweist der am Montag veröffentlichte vierteljährliche Wirtschaftsbericht (Tankan) der japanischen Notenbank (BoJ), der als wichtigstes Stimmungsbarometer für Nippons Konjunktur gilt. Japans Unternehmen blicken optimistischer in die Zukunft.

100 optimistischen Unternehmen stehen nur noch 137 gegenüber, die den Konjunkturlauf pessimistisch einschätzen. Im Vorquartal blickten noch 147 Unternehmen negativ in die Zukunft. Da die Pessimisten weiterhin in der Mehrheit bleiben, diskutiert die Regierung offen über ein weiteres Stimulierungspaket.

Das mit einem gigantischen Konjunkturprogramm vom Winter herbeigeführte leicht verbesserte Tankan-Resultat überzeugt die japanischen Wirtschaftsführer noch nicht. Sie glauben selbst nicht an eine dauerhafte Konjunkturerholung. Nur die klare Stellungnahme für ein weiteres Ankurbelungspaket im Spätherbst hat die Tokioter Börse gestern derart beflügelt, daß sie weit über die Schwelle von 18.000 Punkten segelte. Taichi Sakaiya, der Vorsteher der Wirtschaftsplanungsbehörde (EPA), hatte bereits am Sonntag das neue Stimulierungspaket in Aussicht gestellt, das die Regierungspartei aus wahltaktischen Gründen bis Ende des Jahres schnüren wird.

„Der Tankan bestätigt nur frühere Zahlen. Die Konjunkturaufhellung ist noch zu schwach für eine Änderung der Notenbankpolitik“, sagt der Ökonom Richard Jerram von ING Baring Securities in Tokio. Damit weist er auf die lockere Zinspolitik und auf die jüngsten Deviseninterventionen der BoJ hin, die von den Europäern und den Amerikanern eigentlich beklatscht werden sollten. Mit dem Einsatz von mehr als 37 Milliarden Dollar innerhalb von drei Wochen versucht die BoJ derzeit die Hausse des Yen gegenüber dem Dollar und dem Euro zu bremsen.

Mit diesem Kraftakt greift Japan nicht etwa eigennützig der Exportindustrie unter die Arme, weil diese auch mit einem Kurs von 116 Yen zum Dollar gut über die Runden käme. Diesmal versucht die BoJ eine Forderung der Japaner nach mäßigen Währungsschwankungen auf den globalen Finanzmärkten umzusetzen. Die Kursanstiege an der Tokioter Börse und ein erstarkter Yen wären Anreiz genug für japanische Anleger, um eine abrupte Repatriierung von japanischem Auslandskapital einzuleiten. Das würde zu schlimmen Verwerfungen auf den Finanzmärkten in Europa und USA führen. Ein Crash an diesen Börsen würde nicht nur die japanische Konjunkturerholung in Frage stellen, sondern die Weltwirtschaft nachhaltig schädigen.

Wie lange Tokio diesen schwierigen Drahtseilakt zwischen besseren Konjunkturdaten und der Notbremse für Kapitalrepatriierung noch durchhalten kann, ist ungewiß. Akteure auf den übrigen Finanzmärkten müssen jedenfalls ernsthaft in Betracht ziehen, daß jeder Schub von Japan-Optimismus eine größere Umschichtung von Kapital nach Tokio zu Lasten der eigenen Börsenplätze einleiten wird. Gegen eine Überschätzung der jüngsten Wirtschaftsdaten spricht auch die Haltung der japanischen Bevölkerung. Trotz der guten Nachrichten glauben die Leute noch nicht an einen echten Umschwung, was die weiterhin fallenden privaten Konsumausgaben zeigen.

André Kunz