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Abschied von der Belehrungskultur

■ Der Politik-Unterricht steckt in der Krise, meint der Sozialwissenschaftler Koopmann und fordert moderne Konzepte

Die Hofpause am Schulzentrum an der Helsinkistraße in Burgdamm ist zu Ende. Für Gemeinschaftskundelehrer Siegfried Begatik wird es Zeit, seine Schüler in die Klasse zu rufen. Als der Pädagoge das Unterrichtsthema bekannt gibt, stöhnen die Neuntklässler: Was? Die UN? Schon wieder so ein trockenes Thema? Nur widerwillig quälen sich die Gymnasiasten durch die Tagesordnung. Von Interesse an politischen Zusammenhängen keine Spur.

So wie Siegfried Begatik geht es vielen seiner Kollegen. Hans Bernd, Politiklehrer am SZ Fin-dorff, weiß nur zu genau: „Die Schüler zu begeistern, ist ein gewaltiges Problem. Die aktive Beteiligung am Unterrichtsgeschehen ist bei den meisten gleich null. Wenn mal ein wenig Resonanz spürbar wird, dann geschieht das nur auf Schieben und Drängen.“ Kurz: Es scheint zu kriseln in der politischen Bildung.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Klaus Koopmann, Dozent für Politikdidaktik an der Bremer Universität, hat den Gemeinschaftskunde-Unterricht an hiesigen Schulen unter die Lupe genommen – und bei dem Streifzug durch die Klassenzimmer festgestellt: Statt Politik anschaulich zu machen, würden oftmals nur konventionell Fakten vermittelt. So ginge aber auf Dauer das Interesse der Schüler flöten. Der Politik-Didaktiker fordert deshalb: „Wir müssen weg von der Belehrungskultur.“

Von ihm zusammengetragene Beispiele aus der Schulpraxis zeigen, wie moderner Politikunterricht aussehen kann. In Bremen-Blumenthal wehrten sich Schüler und Lehrer über zwei Jahre hinweg gegen die kostenbedingte Schließung eines Freibades. Ihre gemeinsamen Protestaktionen hatten Erfolg: Das Bad konnte erhalten werden, weil es von privaten Trägerschaften übernommen wurde.

Zwar hat der Konflikt nur über Umwege etwas mit schulischem Politikunterricht zu tun. Trotzdem hat er bei den Schülern etwas bewirkt: Über reale Probleme im alltäglichen Umfeld können Lehrer ihre Schützlinge motivieren, selber politisch zu handeln. Der Sozialwissenschaftler Koopmann analysiert: „Auf diese Weise kann man in den Köpfen der Schüler Spuren hinterlassen.“ Die Folge einer solchen Aktion sei ein merklich höheres Interesse an politischen Fragen, berichteten nach den Projekten auch die zuständigen Lehrer.

Daß in der Fallstudie viel Wahrheit steckt, kann Michael Mackeben vom SZ Habenhausen bestätigen. „Es gibt genug interessante Themen. Alles hängt nur davon ab, wie man sie bearbeitet“, sagt der Gemeinschaftkunde-Lehrer. Er ist sogar überzeugt, daß das Fach Politik die meisten Möglichkeiten für praxisnahen Unterricht überhaupt birgt: Von aktueller Beiratsarbeit bis zum Tagesgeschehen im Kosovo gebe es unzählige Ansätze, gemeinsam mit den Schülern aktiv zu werden. Man müsse sich nur ein wenig dafür einsetzen, findet Mackeben.

Doch an Einsatzwillen mangelt es vielen seiner Kollegen offenbar. Während einige Lehrer mit Schülern im Viertel ein kommunales Jugendparlament installieren oder Freibäder retten, machen andere weiter wie bisher. Siegfried Begatik vom SZ an der Helsinkistraße zum Beispiel gesteht: „Viele praktische Aktionen würde ich nicht mitmachen. Das scheitert wohl an eigener Bequemlichkeit.“

Außerdem muß ja auch noch der Lehrplan erfüllt werden – samt UN, UNO und UNHCR. Da sei es gar nicht so einfach, beides miteinander zu verbinden, gibt eine Lehrerin zu bedenken. Die Schüler könnten dann womöglich gar nicht mehr zum Lesen motiviert werden. Aber solche Einwände will Sozialwissenschaftler Klaus Koopmann nicht akzeptieren: „Mit einer Aktion erlernt man nicht das gesamte politische System. Aber schließlich hat man ja mehrere Schuljahre“, sagt er. Doch wirklich reinreden kann er den Lehrern nicht: Schließlich gilt die Freiheit der Lehre. tin

Mehr in: „Politik erfahren und lernen“, Klaus Koopmann (Hrsg.), Agenda Verlag, Münster 1998, 29,80 Mark.

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