„Sie erleben es bis zum Ende“

■ Die französische Ärztin Elisabeth Aubény begrüßt die Abtreibungspille und diskutiert ihre Vor- und Nachteile gegenüber der Absaugmethode

„Na endlich“, sagt Doktor Elisabeth Aubény am Telefon, als sie erfährt, daß die RU 486 in Deutschland zugelassen ist, „da bin ich aber erleichtert.“ Bislang war die RU 486 – mit einem Antiprogesteron, das die bereits in der Gebärmutter eingenistete Frucht abstößt – in Europa bloß in Frankreich, Schweden und Großbritannien zugelassen. Außerdem wird sie, in einer alljährlich fünfmillionenfach produzierten Raubkopie in China benutzt. Ein Drittel der 180.000 französischen Schwangerschaftsabbrüche im Jahr geschieht medikamentös, die anderen operativ. Aubény hatte bereits Erfahrungen mit der Absaugmethode, als sie von der Erfindung des Professor Baulieu hörte, der sein Molekül 1983 im Ausland testete. Mit mehreren Kolleginnen ging sie direkt zu dem Forscher und seinem Finanzier, dem damals noch französischen Pharmaunternehmen Roussel Uclaf, und verlangte ultimativ, daß die Methode auch in Frankreich ausprobiert würde: „Eine Abtreibung ohne Aufenthalt im Krankenhaus, das erschien uns als großer Fortschritt.“

Bis zu ihrer Pensionierung im vergangenen Jahr leitete Aubény die größte Station für Verhütung- und Schwangerschaftsabbrüche in der französischen Hauptstadt. Von den jährlich 1.000 im Krankenhaus „Broussais“ durchgeführten Abtreibungen finden 600 medikamentös statt. Die Frauen nehmen die RU 486-Pillen zu Hause ein, kommen 48 Stunden später auf die Station und schlucken unter Aufsicht einer Krankenschwester ein Prostaglandin, das den Muttermund weitet und die Austreibung beschleunigt. Nach ungefähr drei Stunden verspüren sie ein Ziehen in Gebärmutter und Rücken, das Menstruationsbeschwerden ähnelt. Rund 20 Prozent der Frauen haben stärkere Schmerzen und benötigen ein Schmerzmittel. Wenn das Ziehen einsetzt, gehen sie mit einer Nierenschale auf die Toilette und stoßen die fingerkuppengroße Frucht aus. Anschließend zeigt eine Kontrolluntersuchung, ob die Abtreibung komplett vollendet ist. „Eine medikamentöse Abtreibung ist heute eine medizinisch problemlose Sache,“ sagt Aubény. Die Erfolgsrate liegt bei 98 Prozent. Unter psychologischem Aspekt freilich hält die Gynäkologin eine Abtreibung mit RU 486 für entschieden härter als eine chirurgische: „Sie erleben die Abtreibung von Anfang bis Ende. Sie selbst nehmen die Tabletten ein. Sie sehen alles. Sie können sich nichts vormachen.“ Die Ärztin läßt aber keinen Zweifel an den Vorteilen der RU 486: „Die Frau nimmt den Schwangerschaftsabbruch selbst in die Hand. Es ist weder Narkose noch Chirurgie nötig. Und sie muß nicht den Blick des Arztes ertragen“, zählt sie auf.

Heute ziehen die meisten Französinnen die RU 486 einem chirurgischen Eingriff vor. Wer ausdrücklich eine chirurgische Abtreibung verlangt, tut das nach Aubénys Erfahrung aus zwei Gründen: „Manche wollen eine Vollnarkose, um nichts von der Abtreibung mitzubekommen und nicht die Frucht sehen zu müssen. Andere, weil es schneller geht. Mit der Absaugmethode dauert es nur ein paar Minuten.“ Wenn Aubény den Einwand hört, die RU 486 mache Abtreibung zu einer Bagatelle, zitiert sie die Statistik: In Frankreich ist die Zahl der Abtreibungen seit der Legalisierung der RU 486 sogar leicht gesunken. Militante Lebensschützer, die mehrfach ihre Klinik besetzten, haben die Ärztin nie beeindruckt. Aber was sie in Richtung Deutschland sagt, weist auf eine andere Gefahr hin. Nebenbei wirkt sich die RU 486, in Frankreich zumindest, auf die Einnahmen der privaten Krankenhäuser aus. Mit einer chirurgischen Abtreibung läßt sich entschieden mehr verdienen. „Die Entscheidung der ungleichen Honorierung der Abtreibungsmethoden war ein Fehler“, sagt Aubény, „den sollten Sie vermeiden.“ Dorothea Hahn, Paris

„Die Frau nimmt den Abbruch in die Hand. Narkose und Chirurgie sind unnötig. Sie muß nicht den Blick des Arztes ertragen.“