Klingelingeling... klingelingeling...

■ ... hier kommt der Eiermann. – Er heißt Armin Kölbli und will bald im fernen Tschernobyl ein mehrere Tonnen schweres Ei legen

Sein erstes Ei hat Armin Kölbli vor acht Jahren in Bremervörde gelegt. Achteinhalb Tonnen schwer, über zwei Meter dick, aus blütenweißem Beton, gestiftet vom Bundesverband der Zementindustrie. Deutsche Wertarbeit, die ein Jahrtausend halten muß.

Denn erst im Jahr 2991, Bremervörde ist womöglich längst von Aliens und Mutanten bevölkert, darf das Überraschungsei geöffnet werden. Sein Inhalt: Ein Atomfaß mit 600 Briefen jener Alien- und Mutantenvorfahren, die tausend Jahre zuvor Armin Kölblis Aufruf gefolgt waren und niedergeschrieben haben, welche Ängste, Sorgen und Hoffnungen ein Bremervörder Bürger 1991 in seinem Herzen getragen hat.

Nun brütet Armin Kölbli wieder. Und wird, wenn ihm die ukrainischen Behörden nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen, am Ende dieses Jahres sein zweites Ei vor das berüchtigte Kernkraftwerk von Tschernobyl legen. Diesmal im Faß: mindestens 1.500 Briefe, geschrieben von amerikanischen Kids, die von autofreien Highways träumen, von JapanerInnen, die ihrer Jugendliebe ewige Treue schwören, oder von EuropäerInnen, die sich wünschen, ein Übermensch möge in Zukunft für Frieden und eine drogenfreie Welt sorgen.

Gesammelt hat Armin Kölbli diese Briefe im Laufe der 90er Jahre, in denen sein zweites Ei, das auf der Bremer Weserwerft gebaut worden ist, durch die Lande und ebenso öffentlichkeitswirksam über die „Aus aller Welt“-Seiten von Tageszeitungen aus aller Welt gekullert ist. Eine Zeitlang lag es in einem Park nahe der Hochschule in der Neustadt, Überbleibsel seines steinernen Nestes sind noch heute vor der Hochschule für Künste in der Dechanatstraße zu sehen. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Berlin liegt das 3,33 Meter hohe und 2,34 Meter dicke Ei nun dank der Unterstützung von SponsorInnen und der Mithilfe des Technischen Hilfswerkes seit 1996 in Budapest. Zug um Zug nähert es sich damit seinem finalen Bestimmungsort: Tschernobyl.

Auch wenn der Verdacht nahe liegt: Kölblis eierige Leidenschaften beruhen nicht auf zu hohen Cholesterinwerten oder einem frühkindlichen Oster-Trauma. Seine Heimatstadt Durmersheim bei Karlsruhe hatte den heute 40- und damals 31jährigen um einen „künstlerischen Beitrag“ zur 1.000-Jahr-Feier der Gemeinde gebeten. Kölblis Riesen-Ei war jedoch nicht ganz das, was sich das Festkomitee vorgestellt hatte. Da Kölbli keinen passenden Eierkarton zur Hand hatte, begaben sich Kölbli und sein erstes Ei auf Wanderschaft, die in Bremervörde glücklich endete.

Seit dieser Zeit arbeitet der Künstler daran, ein zweites Ei vor das havarierte Kernkraftwerk in Tschernobyl zu stellen. Pläne für ein drittes, das irgendwo in Brasilien unweit gerodeter Regenwaldfläche seinen Standort finden soll, existieren bereits. Die Idee hinter jedem Ei-Projekt: die Gedanken der Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in Briefen zu bündeln und so zu konservieren für nachfolgende Generationen. Kölbli erhofft sich dadurch „bei den daran teilnehmenden Menschen einen reinigenden Effekt wie bei einer Beichte“: Die Vergebung der gewaltigen ökologischen Sünden, die den Nachkommen aufgebürdet werden. Zugleich hofft Kölbli, daß die Mitarbeit an der zeitdokumentierenden Skulptur ein kollektives Gedächtnis schafft: „Jeder, der einen Brief schreibt, wird es seinen Kindern weitererzählen. So bleibt das Wissen um den Inhalt der Eier über Jahrtausende lebendig.“ Um die Briefe vor dem Verrotten zu schützen, hat Kölbli sie nach einem Rezept des deutschen Archivarenverbandes mit Kohle und Fett haltbar gemacht.

Im Jahr 3007, Tschernobyl wird dann mit Sicherheit von Mutanten und Aliens bewohnt sein, darf das zweite Ei geöffnet werden. Und die Tschernobyler und Tschernobylerinnen werden dann lesen können, was Menschen vor ewigen Zeiten sich sehnlich erträumten: leere Highways, potente Übermenschen und Liebe, die dauerhafter ist als jedes Betonei. – Wäre schon spannend zu wissen, ob ein Mutant in 1.000 Jahren darüber etwas anderes denkt als: „Die spinnen, die Menschen.“

Franco Zotta

Das „Bremervörder Ei“ ist am Vörder See zu besichtigen. Wer das „Ei“-Projekt unterstützen möchte, kann sich unter Tel.: 794 02 90 an Armin Kölbli wenden. Zuschriften, die dann im Inneren des Eis von Tschernobyl gelagert werden sollen, können an die folgende Adresse geschickt werden: Das Ei, 27432 Bremervörde.